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Annika Höritz

Wilhelm Müller, Weiß-Grün (1981)

Abbildung Weiß-Grün (1981) von Wilhelm Müller nicht in der Datenbank vorhanden

Wie ein Netz überziehen feine lineare Erhebungen den Bildträger. Erzeugt wurden sie durch in den Bildgrund eingelassene und unter Farbe verborgene Kordeln.[1]Sie zergliedern die Fläche mithilfe des Seitenhalbierungssystems gleichmäßig in unterschiedlich große Rechtecke und Dreiecke. Zwei Farbfelder hingegen teilen den Malgrund in anderer Weise auf: Ein grüner breiter Balken stürzt steil von rechts oben in die weiße Fläche, bis er mit einer Ecke mittig auf die untere Bildgrenze trifft. Durch die beiden Arten der Gliederung des Bildes entstehen zunächst zwei Ebenen – die einer symmetrischen Linien- bzw. Formstruktur und die einer asymmetrischen Farbfläche. Obwohl geometrisch gegensätzlich angelegt sind die beiden Ebenen voneinander abhängig: Vom Künstler ausgewählte Linien bestimmen die Form der grüne Fläche und begrenzen sie. In ihrem Inneren dominieren jedoch Farbe und Textur. Letztere bildet dann auch eine dritte Ebene und teilt die Farbebene noch deutlicher auf: Während der weiße Teil rau und zerfurcht wirkt, ist der grüne glatt wie ein Spiegel.

Das Experiment mit der Linie und geometrischen Formen gehörte seit den 1960er Jahren zum Werk Wilhelm Müllers, der neben dem Zahnarztberuf zeitlebens auch seiner künstlerischen Passion nachging.

Durch die Dresdener Kunstsammlerin Ursula Baring, in deren Haus regelmäßig Ausstellungen nonkonformer Kunst stattfanden[2], lernte er 1962 den Künstler Hermann Glöckner kennen, dessen erster und einziger Schüler er für über zwei Jahre[3] wurde. Schnell stellte sich heraus, dass sie nicht nur die Vorliebe für non-figurative Kunst teilten, sondern auch den Hang zum spielerischen Experiment. Dies äußerte sich unter anderem in der Suche nach einer Ästhetik der Geometrie, aber auch im Ausprobieren von eigentlich kunstfremden Zeichenmitteln. Bereits 1957 entlehnte Müller „zahnmedizinische Präparate wie Jod, Höllenstein oder Wasserstoffperoxid“[4] seinem beruflichen Umfeld. Ab den 1960er Jahren kam es dann auch zum „Einsatz von Nitrolack, Alusil- und Metallic-Lackfarben“[5].

In Anlehnung an Glöckners ‚Tafelwerk', einer zielgerichteten Ausarbeitung von geometrischen Maß- und Gestaltungsregeln, begann Müller ab 1965 mit der Entwicklung eines Teilungssystems, in dem er die Fläche eines ungeteilten Rechteckes durch horizontale, vertikale und diagonale Halbierungen immer weiter aufgliederte, um systematisch die ästhetische Wirkung geometrischer Linien, Formen und Flächen zu analysieren.[6] Als verbindlich erkannte Müller „das Gesetz der Mitte an, das Gesetz der Teilung des Ganzen in gleiche Stücke und deren weiter fortschreitende Halbierung.“[7] 22 Versionen erklärte er als normativ und fasste sie zusammen in der ‚Konstruktiven Übung'.[8]

Die Arbeit ‚Weiß-Grün‘ kann als Weiterentwicklung der ‚Konstruktiven Übung' begriffen werden. Ihre Struktur, d.h. die linearen Erhebungen, sind Kombinationen der Elemente dieses „averbalen Lehrbuches“[9]. Ergänzend traten die Ebenen der farblichen Gestaltung und der Materialität hinzu: die unterschiedliche Textur, die Darstellung der Linie als Erhebung, die Kombination unterschiedlicher Werkstoffe wie Kordel und Lack.

Zur gleichen Zeit fertigte Müller weitere Variationen von ‚Weiß-Grün-Bildern'. Allen gemein ist der Aufbau in mehreren Ebenen; doch unterscheiden sie sich durch eine voneinander abweichende Teilungsstruktur. Tim Sommer spricht im Katalog zu einer Einzelausstellung des Künstlers von einer „doppelten Bildführung“, die aus „der Textur des ‚informellen' Malgrundes und der ‚konkreten' Zeichenhaftigkeit der aufgelegten Struktur entsteht“[10]. Tatsächlich ist diese Zusammenführung von grundsätzlich verschiedenen Tendenzen nicht nur charakteristisch für diese Werkgruppe, sondern für das gesamte Schaffen Wilhelm Müllers. Neben den konstruktiven Arbeiten entstanden zahlreiche andere non-figurative, nicht-geometrische Werke. Dieses vielfältige Œuvre wird zusammen gehalten von Wilhelm Müllers nicht nachlassender Experimentierfreude mit Formen, Material oder Farbe. Damit ist das Werk ‚Weiß-Grün' nicht nur ein Glied auf der Suche nach geometrischer Schönheit und Perfektion, sondern kann gleichzeitig pars pro toto für das Lebenswerk eines vielseitigen Künstlers stehen.

Anmerkungen

[1] Tim Sommer merkt im Katalog zu einer Einzelausstellung Wilhelm Müllers in der Gemäldegalerie Neue Meister 1999 an, dass der Künstler dieses Verfahren von Teppichknüpfern übernahm, die zwischen angrenzenden Farbflächen Fäden ungefärbter Wollte einwebten. Vgl. Sommer, Tim: Minimalismus und Opulenz. In: Wilhelm Müller, hg. von Ulrich Bischoff, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Meister, (Ausst.-Kat.), Dresden 1999. S. 11-17, S. 16.

[2] Hans Ulrich Lehmann datiert die Anfänge der Ausstellungstätigkeit Wilhelm Müllers bei Ursula Baring auf 1962 (vgl Lehmann, Hans-Ulrich: Zwischen amorph und kristallin. In: Wilhelm Müller. Arbeiten auf Papier, hg. von Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Ausst.-Kat.), Dresden 1996, S. 9-14, S. 9). Müller teilte das Schicksal anderer ungegenständlich arbeitender Künstler in der DDR und war fast ausschließlich in Sammlerkreisen bekannt. Doch er hatte seine Förderer auch in ‚offiziellen' staatlichen Einrichtungen, wie dem Dresdener Kupferstich-Kabinett. Dessen damaliger Direktor, Werner Schmidt, gehörte zu Müllers Bewunderern und Förderern. Bereits ab den 1960er Jahren kaufte er Werke des Künstlers an, obwohl dieser kein Mitglied des VBK war. Vgl. Klöppel, Lydia: Die eikon Grafik-Prese und die Avantgarde-Kunst in der DDR: Alexander Rodtschenko, Hermann Glöckner, Wilhelm Müller, Woldemar Winkler und Klaus Dennhardt. München, Ravensburg 2007, S. 61.

[3] Zwischen 1964 und 1966 besuchte Müller Hermann Glöckner einmal wöchentlich in seinem Atelier. Einen weiteren Einfluss übten auch die Lehren Carl Rades aus, dem Lehrer Glöckners an der Kunstgewerbeschule in Dresden. Vgl. dazu auch Lehmann, Hans-Ulrich (wie Anm. 2), S. 14.

[4] Holler, Wolfgang: Zum Geleit. In: Wilhelm Müller. Arbeiten auf Papier, hg. von Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Ausst.-Kat.), Dresden 1996, S. 5-7, S. 6.

[5] Lehmann, Hans-Ulrich (wie Anm. 2), S. 10f.

[6] Vgl. Lehmann, Hans-Ulrich (wie Anm. 2), S. 11.

[7] Sommer, Tim (wie Anm. 1), S. 14.

[8] Blatt 4 zeigt zum Beispiel eine einzige horizontale mit dem Silberstift gezogene Linie in der Mitte des Blattes. Bezeichnet ist sie als ‚Element B'. Blatt 6 zeigt eine horizontale und eine vertikale dünne Linie jeweils mittig auf dem Blatt angeordnet, etwas dicker darüber eine Diagonale von unten links nach oben rechts, betitelt mit ‚Element C'.

[9] Lehmann, Hans-Ulrich (wie Anm. 2), S. 11.

[10] Sommer, Tim (wie Anm. 1), S. 16f.

Zitierempfehlung: Annika Höritz: Bilddossier zu "Weiß-Grün" (1981) von Wilhelm Müller, Juli 2012. In: Kunst in der DDR, URL: <https://bildatlas-ddr-kunst.de/knowledge/405>

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