© VG Bild-Kunst, Bonn 2012
Bernhard Heisig giIt als eine der zentralen Gestalten innerhalb der sozialistisch-realistischen Kunst der DDR. In Leipzig zählt er zu den entwicklungsbestimmenden Künstler- und Lehrerpersönlichkeiten. Seine künstlerische Traditionslinie ging von einem genrehaften, dunkeltonigen Realismus im Sinne Menzels aus und führte über eine kurzzeitige Beschäftigung mit Picasso in den 50er Jahren zu Corinth und Kokoschka, deren impulsive, sinnenhafte Wirklichkeitssicht und dynamische, farbintensive Malweise seinem Wesen verwandt ist. Auch Anregungen von Otto Dix gab es, und bei Max Beckmann fand er entwicklungsfähige Kompositionsprinzipien. Mit den Ikarus-Bildern ging er um 1965 zur simultanen gleichnishaften Gestaltung oft kritisch gesehener gesellschaftlicher Problematiken über.
Gleichrangig mit seinen großen Bildern zur revolutionären Geschichte ist sein an Umfang kaum noch überschaubares Porträtschaffen. Mit seinen Mutter-BiIdnissen, seinem „Lenin und der ungläubige Timofej“ oder dem „Bildnis Vaćlav Neumann“ hatte sich Bernhard Heisig in breiten Publikumskreisen schon als Meister psychologisch tieflotender Menschendarstellung ausgewiesen. Mit dem „Brigadier“, der zuerst 1972 auf der Leipziger Bezirkskunstausstellung zu sehen war und bald ein populäres Bild wurde, griff der Künstler erstmals das Thema des Produktionsarbeiters inmitten seiner Arbeitswelt auf. Zugleich fand er eine völlig neue, einprägsame Lösung, wie sie in den bisherigen Arbeiterbildnissen zahlreicher Künstler so noch nicht angedeutet worden war. Heisig wollte ein Gegenbild zu den üblichen Arbeiter- und Brigadebildern, auf denen die Menschen oft nur pathetisch herumstehen oder sich statisch repräsentieren, schaffen. Er konnte sich persönlich engagieren, denn durch seine architekturgebundenen Arbeiten hatte er gute Kontakte zu Baubrigaden hergestellt.
„Der Brigadier“ brachte viel Anerkennung, aber forderte auch Kritik heraus, weil hier mit althergebrachten Sehgewohnheiten gebrochen wurde. Man findet also nicht die konventionelle Pose, die auf passives Herausblicken aus dem Bild bedachte Mimik und Gestik. In einer jähen, nahezu schnappschußartig erfaßten Bewegung wendet sich der Mann seinem Gegenüber zu, Stolz auf Erreichtes und augenzwinkernder Humor, auch pfiffige Intelligenz kommen in Gesicht und Gesten der Hände zum Ausdruck, pointiert im vorgewiesenen Daumen. Trotz seiner Massigkeit ist der Körper straff aufgerichtet. Optimismus und Dynamik äußern sich auch durch den rasanten Pinselduktus, mit dem das nuancenreiche Blau der Jacke hingestrichen ist und in den pastos aufgesetzten Farbflecken von leuchtendem Karmin und Rotorange des karierten Hemdes. Im Hintergrund links überwiegt lebensvolles Gelbgrün, rechts erscheint die angedeutete Baustelle in gedämpftem Rot und Rotbraun. Die künstlerische Leistung besteht sowohl in der Verarbeitung des Momenthaften zur Bildform, als auch darin, wie hier die individuellen Wesenszüge zum Typischen erhöht wurden, so daß von der Einzelgestalt des Brigadiers Schlüsse auf sein ganzes Arbeitskollektiv möglich sind. Der Brigadier repräsentiert nicht nur sich selbst, sondern große Teile der Arbeiterklasse unserer Gesellschaft.
Quelle: Henry Schumann: Bernhard Heisig, Der Brigadier (1970 überarbeitet 1979). In: Malerei der DDR. Kataloge der Gemäldegalerie, Heft 5, hrsg. v. Museum der bildenden Künste. Leipzig 1977. S. 42.