Simone Fleischer
Das Werk Dresden (1971) von Ernst Hassebrauk
Unter einer glühend roten Sonne streckt sich die Dresdener Altstadt am Ufer der Elbe entlang. Die Dampfer der Weißen Flotte reihen sich an ihren Anlegestellen bis zur Augustusbrücke (zur Entstehungszeit des Bildes noch Georgij-Dimitroff-Brücke). Das tiefe Blau des Flusswassers wird durchkreuzt von einem stromaufwärts fahrenden Ausflugsschiff, das am rechten Bildrand verschwindet.
Der Schiffverkehr und das Spiel der Lichtreflexe auf der Wasseroberfläche nehmen den größten Raum des Bildes ein. Dennoch bleibt kein Zweifel, in welcher Stadt sich dieses Flussufer befindet, zitiert doch Ernst Hassebrauk in quasi invertierter Form den berühmten ‚Canaletto-Blick‘, wie er sich auf dem Gemälde ‚Dresden vom rechten Elbufer unterhalb der Augustusbrücke‘ von Bernardo Bellotto [i] zeigt. In seinem zur Ikone gewordenen Blick vom rechten Elbufer hatte sich auch Bellotto den neuen Entwicklungen im Dresdener Baugeschehen gewidmet. Demonstrativ kennzeichnet er die aktuellen städtebaulichen Umwälzungen, etwa durch das Gerüst am Turm der Hofkirche. Hassebrauk dokumentiert auch die Entwicklungen des 19. Jahrhunderts, stellt die Semperoper, etwas abgerückt von der Hofkirche, in den Fokus des Betrachters. Gleichzeitig kaschiert er durch seine Standortwahl geschickt die Wunden des 20. Jahrhunderts. Indem er die Altstadt eben nicht von der Neustädter Uferwiese hinter dem Japanischen Palais zeigt, sondern sich einen Punkt flussaufwärts sucht, vermeidet er den Blick auf die Ruine der Frauenkirche. Die Wahl des Blickwinkels von der Mitte der Dr. Rudolf-Friedrichs-Brücke (heute Carolabrücke), ein Punkt, den Bellotto zwecks fehlender Brücke kaum hatte wählen können, erlaubt es ihm, die Türme der Silhouette geschickt zusammenzuführen. Der Stumpf des noch nicht wiederaufgebauten Hausmannsturmes fällt nicht weiter auf. „Damit sind die Spuren der Zerstörung weitgehend ausgeblendet, sie werden mit Glanz überspielt und in der großen räumlichen Distanz unsichtbar gemacht.“[ii] heißt es treffend im Katalog zu einer Ausstellung der Galerie Neue Meister anlässig des 100. Geburtstages des Künstlers 2005.
Ernst Hassebrauk wurde in Dresden geboren und verbrachte hier den größten Teil seines Lebens. Schon als Kind lernte er die weltbekannten Kunstsammlungen kennen.[iii] Der Stadt mit ihren reichen Kulturschätzen blieb er auch in seinen Werken verbunden. „Dresden ist mir auf den Leib geschrieben“[iv] sagte Hassebrauk bezugnehmend auf seine Affinität zur Elbestadt. Seine „großen Stadt-Ansichten, in denen das alte augusteische Dresden als nationales Kulturerbe empfunden ist, führen die Tradition der Bellotto, Kuehl, Sterl und Kokoschka fort […].“[v] In dieser Tradtion steht auch das vorgestellte Gemälde. Dem Blick Bellottos auf das barocke Dresden hatte er sich bereits 1968 gewidmet. Die Zeichnung ‚Dresden, nach Canaletto‘[vi] adaptiert die Komposition bis ins Detail. Und doch schafft Hassebrauk mit seinen eigenen Mitteln etwas Neues. Wie schon in den Zeichnungen, die er Ende der 1950er Jahre von den zurückgekehrten Kunstwerken der Dresdener Sammlungen anfertigte,[vii] verwandelt er die Vorlage mit dem sprühenden Kolorit seiner eigenen Malweise. Harald Marx fasst den Umgang mit Farbe in den Bildern Hassebrauks zusammen: „Die Farbe vollends wird grell und reduziert und ist nur aus Hassebrauks eigenem Empfinden, nicht aus ‚Einfühlung‘ zu erklären.“ [viii]
Diese Beobachtung lässt sich ohne weiteres auch auf ‚Dresden‘ von 1971 beziehen. Und nicht nur die Farbgebung löst sich von der Tradition, sondern auch die Motivwahl. Damit schafft sich Hassebrauk sein eigenes Bild von Dresden, oder wie es sein Biograph Dieter Hoffmann formulierte: „[…] er halluzinierte ein Farbenglück, das es nicht gab im zerstörten und im neuen Dresden.“
[i] Bernardo Bellotto: Dresden vom rechten Elbufer unterhalb der Augustusbrücke. 1748, Öl auf Leinwand, 133 x 237 cm, Gal.-Nr. 606, Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
[ii] Ernst Hassebrauk in der Galerie Neue Meister Dresden. Bestandskatalog zum 100. Geburtstag des Künstlers. Hg. von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden mit Texten von Gabriele Werner, (Ausst.-Kat.) Dresden 2005, S. 52.
[iii] Löffler, Fritz: Ernst Hassebrauk – Leben und Werk. In: Ernst Hassebrauk. 1905-1974. Hg. von Hedwig Döbele, (Ausst.-Kat.) Leinfelden, Ravensburg 1979, unpag.
[iv] Ernst Hassebrauk, zit. nach: Lang, Lothar (Hrsg.): Ernst Hassebrauk. Aquarelle, Zeichnungen Collagen. Leipzig 1980, S. 10.
[v] Lang, Lothar (wie Anm. 4), S. 10.
[vi] Ernst Hassebrauk: Dresden, nach Canaletto. 1968, Dispersionsfarbe, 73,5 x 100,2 cm, Nachlass Ernst Hassebrauk, heute vermutlich SLUB, Mscr. Dresd. App. 2534, 1 – 4603.
[vii] Zu diesen Zeichnungen vgl. Menzhausen, Joachim: Hassebrauks Adaptionen zur Rückkehr der Dresdener Museen. In: Die Wiederbegegnung. Ernst Hassebrauk zeichnet zurückgekehrte Kunstwerke. Hg. von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, (Ausst.-Kat.) Dresden 1988, S. 7-10.
[[viii]] Harald Marx, zit. nach: Ernst Hassebrauk in der Galerie Neue Meister Dresden. (wie Anm. 2), S. 9.
Zitierempfehlung: Simone Fleischer: Bilddossier zu "Dresden" (1971) von Ernst Hassebrauk, Juli 2012. In: Kunst in der DDR, URL: <https://bildatlas-ddr-kunst.de/knowledge/140>