Beate Ritter
Das Bild Eingeschneite Aktion von 1980, das auf der IX. Kunstausstellung der DDR 1982 einmalig als linke Tafel des Triptychons Immerwährende Hoffnung ausgestellt war, fungiert seitdem wie die beiden anderen Tafeln als singuläres Gemälde in unterschiedlichem Besitz.
Der Künstler Wolfgang Mattheuer wird heute international nach wie vor einschränkend als einer der bekanntesten „DDR-Maler“ wahrgenommen. Im Entstehungsjahr des Bildes ist er 53-jährig, erfolgreich als Grafiker und Maler, Träger der höchsten Auszeichnungen Kunstpreis und Nationalpreis der DDR, Teilnehmer der documenta 6 in Kassel und Mitglied der Akademie der Künste der DDR. Als Künstler ist Mattheuer auch Zweifler, Kritiker und gern Mahner.
In seinem Werk existieren nur wenige im eigentlichen Sinne reine Landschaftsdarstellungen. Oft ist das Landschaftsmotiv Metapher, ist Bildfläche für darin agierende Personen oder dient Mattheuer durch Hinzufügen bestimmter Elemente als Szenerie für die Vermittlung ihm wichtiger Themen.
Das Gemälde Eingeschneite Aktion ist eine Darstellung einer tief verschneiten Winterlandschaft mit hohem Horizont. Von grauweißer Farbe ist die geschlossene Schneedecke, die schwer auf der Landschaft lastet und sie vollständig bedeckt. Eine schmale weiße Mondsichel drittelt den am oberen Bildrand durchgängig schmalen Himmelsausschnitt harmonisch. Im Vordergrund ringen zwei Menschen im verschneiten Gebüsch – insgesamt eine unerklärliche Szenerie. Diese Titel gebende Aktion erinnert auf den ersten Blick an Details der antiken Laokoon-Gruppe. Genau wie darin der ausweglose Kampf des Priesters Laokoon und seiner Söhne gegen zwei Schlangen dargestellt ist, zeigt Mattheuer in seinem Gemälde zwei ineinander und in Zweige verschlungene, vielleicht miteinander ringende Personen in dieser lautlosen Landschaft. Bei Mattheuer selbst, in seinen 2002 erstmalig veröffentlichten Tagebuchnotizen und Aufzeichnungen, findet man unter dem Eintrag vom 22. Januar 1980 die Erklärung des Bildinhalts als „Schneegeschichte“.[1] Es ist seine während eines Spaziergangs im heimatlichen Vogtland entstandene surreale Vision des Geschehens: am tief verschneiten Wegesrand sieht er vermeintlich zwei im Schlehengebüsch gestürzte, von zerrissenen Starkstromkabeln umschlungene, eingeschneite Menschenleiber – etwas „völlig Fremdes, Ungeheuerliches, Grausiges, Absurdes“. Die unwirkliche Szene löst sich nicht auf, erklärt sich nicht. In der Aufzeichnung und im Gemälde hält Mattheuer seine Vision künstlerisch fest (einen identisch betitelten Holzschnitt mit der Darstellung nur einer gestürzten Person hat Mattheuer bereits 1979 erarbeitet, ein Jahr vor der im Tagebuch beschriebenen Vision!). Die Charakteristik eines Mattheuer zugeschriebenen „folk-art realism“[2] ist in diesem Bild sowohl motivisch als auch in der malerischen Umsetzung zu finden.
[1] Wolfgang Mattheuer. Aus meiner Zeit, Tagebuchnotizen und andere Aufzeichnungen, Eintrag v. 22.01.1980, Stuttgart, Leipzig 2002, S. 70-72.
[2] www.nytimes.com/2006/01/08/magazine/08leipzig.html.
Wolfgang Mattheuer: Aus meiner Zeit, Tagebuchnotizen und andere Aufzeichnungen, Eintrag v. 22.01.1980, Stuttgart. Leipzig 2002, S. 70-72.
IX. Kunstausstellung der DDR, Albertinum Dresden 2. Oktober 1982 bis 3. April 1983, Abb. S. 97, S. 240 (als linke Tafel des Triptychons Immerwährende Hoffnung)
Wolfgang Mattheuer – Retrospektive, Kunstsammlungen Chemnitz 21.7.-22.9.2002, Bayerische Akademie der Schönen Künste München 26.11.2002-26.1.2003, Leipzig: E.A. Seemann Verlag 2002, Kat.-Nr. 33, S. 234, Abb.*
Wolfgang Mattheuer – Abend, Hügel, Wälder, Liebe. Der andere Mattheuer, Publikation anlässlich der Ausstellung „Landschaftsbilder – Sehnsuchtsbilder. Der andere Mattheuer“, Museum der bildenden Künste Leipzig vom 14. Juli bis 14. Oktober 2007, S. 24, S. 54, S. 55 Abb. 60.
Zitierempfehlung: Beate Ritter: Bilddossier zu "Eingeschneite Aktion" (1980) von Wolfgang Mattheuer, Juli 2012. In: Kunst in der DDR, URL: <https://bildatlas-ddr-kunst.de/knowledge/326>