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Jörg Sperling

Hermann Glöckner, Rechteckform (ohne Jahr)

© VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Hermann Glöckner zählt unbestritten zu den Stammvätern einer anderen, eigenständigen Kunst in der DDR. Zur geometrischen Abstraktion gelangte er bereits in den ausgehenden 20er Jahren, gleichwohl wechseln sich wiederholt abstrakte und gegenständliche Phasen im Schaffen ab. Mit seinem konstruktivistischen "Tafelwerk" (1930/37) entfaltete sich ein reiches, systematisches Bildprogramm, welches über die Jahrzehnte schöpferisch fortentwickelt wurde. Abseits der Kunstbetriebsamkeit ging der Künstler zurückgezogen seinen Weg und die Intensität eigener Findungen steht in eigenwilliger Parallele zum zeitgenössischen Konstruktivismus etwa des Bauhauses oder El Lissitzkys. Gerade in der konsequenten künstlerischen Haltung, die für ihn niemals von der menschlichen zu trennen war, wurde Glöckner für viele jüngere Künstler stillschweigend zur Leitfigur. Wie schon vor dem Krieg mußte sich Hermann Glöckner in der DDR lange mit baugebundenen Arbeiten über Wasser halten; bewahrte sich dadurch jedoch auch künstlerische Unabhängigkeit. Erst allmählich setzte zum Ende der 60er Jahre öffentliche Akzeptanz für sein Werk ein.

Das kleine Gemälde "Rechteckform" entstand in einer Phase, als der Künstler die Anfeindungen des "Formalismusstreits" - die abstrakte Kunst war ideologisch in Verruf geraten - hinter sich gelassen hatte und einen künstlerischen Neubeginn wagte. Das quadratische Format entfaltet mittels variierender Brauntöne und gedämpftem Rosa eine angenehme, warme Farbatmosphäre, in die sich Weiß und Grau einordnen. Drei innerhalb der geometrischen Komposition horizontal laufenden Linien unterstreichen den Eindruck, hierbei könnte es sich vielleicht um eine Stadtlandschaft mit stark abstrahierten, flächig aufgefaßten Bauten handeln. Was zumindest eine umfängliche Werkgruppe "Giebel und Dächer" nahelegt, die den Künstler lange, auch in dieser Zeit, intensiv beschäftigte. Die rechteckigen Formen wurden auf die Fläche gesetzt, so daß sie eine Tiefenwirkung hervorrufen.

Im Gegensatz zum geometrisch angelegten Bildaufbau - allerdings deuten kleine Unregelmäßigkeiten an den Rändern schon darauf hin - erweist sich die Farbbehandlung, der Materieauftrag als vielschichtig und von schrundiger Oberfläche. Nichts wurde hier geglättet, sondern die Spuren des Aufbringens, des Auftrocknens unterschiedlich dicker Partien sowie Farbverläufe sind ablesbar ausgebildet. Zudem verwendete der Künstler als Malgrund eine offensichtlich schon zusammengestückelte Pappe, die Anregung für die materialorientierte Phantasie bereithielt. So überdeckt die Grundierung mit ihren teils gespachtelten Schichten und Spuren jene Details des Kartons nur zum Teil und bezieht sie folgerichtig mit in die Gesamtkomposition ein. Es zeigt sich letztlich, daß der Maler nicht eine mathematische, am Lineal hervorgebrachte Malerei schaffen wollte, sondern ein amorphes Feld lebendigen Farbvortrags, das auch spätere Atelierspuren "zufällig" mit aufnimmt. Im Spätwerk verfolgte und erforschte Hermann Glöckner sehr intensiv den Zufall vermittels unterschiedlicher Materialspuren. Zwischen geometrisierter Fläche und lebendig webender Farbhaut pendelt sich die Bildmeditation ein.

Zitierempfehlung: Jörg Sperling: Bilddossier zu "Rechteckform "(ohne Jahr) von Hermann Glöckner, Juli 2012. In: Kunst in der DDR, URL: <https://bildatlas-ddr-kunst.de/knowledge/329>

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