Jörg Sperling
Wilhelm Lachnits Schaffen setzt mit neusachlichen Porträts Ende der 20er Jahre ein, bevor er zu einem der wichtigen Vertreter des „metaphorischen Realismus“ in der frühen DDR-Kunst wurde. Das Gemälde der Lesende mit Papagei, im typisch flächigen Malstil des Künstlers, wird dem Spätwerk zugeordnet.
Das Sujet des Buchlesers trägt in der Malereigeschichte zumeist logischerweise harmonischen, ja stillen Charakter. Dies scheint zunächst, durch die hellen, gebrochenen Farben auch hier der Fall, doch ist da ein Papagei quasi zwischen die lesende Frau und den Betrachter auf eine Stange gesetzt, der wie eine Kommentarebene wirkt, zumal der Papagei mit seinem Auge letzteren regelrecht anstarrt. Das türkisfarbene Gefieder und der auffällig gelbe Buchumschlag bringen einen durchdringenden Ton in das Gemälde, der die Anlage des Bildes leicht zu irritieren scheint. In den einfach gefassten Gesichtszügen der weiblichen Gestalt findet das Vertieftsein ins Buch seine Entsprechung. Allerdings deuten ein leise ansetzendes Schmunzeln und die Spreizung einiger Finger auf eine bestimmte Regung beim Lesen hin. Es scheint insgesamt unterschwellig so, als würden all diese Details zusammen in eine Richtung weisen, nämlich welchen Inhalt die Lektüre haben könnte. Insofern läßt sich der „beigefügte“ Papagei als der typische geschwätzige, nachplappernde Vogel durchaus als heiterer, ja humoristischer Part ansehen. Das Buch scheint demnach weniger schwere Kost, als viel mehr Lesevergnügen zu versprechen. Um dem aber nicht zuviel Vorschub zuteil werden zu lassen, strafft der Maler seine Komposition auch, indem er schwarze Partien mit Frisur und Rock einfügt.
Zitierempfehlung: Jörg Sperling: Bilddossier zu "Lesende mit Papagei" (1957) von Wilhelm Lachnit, Juli 2012. In: Kunst in der DDR, URL: <https://bildatlas-ddr-kunst.de/knowledge/330>