Lilian Groß
© VG Bild-Kunst, Bonn 2012
Die emsige Betriebsamkeit eines Produktionstages in einem Volkseigenen Betrieb (VEB) der DDR ist Thema dieses Bildes. Unmengen an Stoff türmen sich im gesamten Geschehen. Mit ruhiger Konzentration wird genäht, immer wieder, jeden Tag erneut. Eine junge Frau bestimmt die Komposition, eine Vorarbeiterin, die den Näherinnen neue Stoffbahnen zum Bearbeiten bringt und die fertig genähten mitnimmt. Ihre Körperhaltung erinnert an Figuren in Pablo Picassos Gemälde ‚Die Badenden‘[1] – leicht entrückt, die Hektik nicht wahrnehmend. Trotz der impressionistischen Farbigkeit des Bildes ist es ein atypisches Beispiel für den Künstler, der neben Porträts und Darstellungen seiner Familie zahlreiche Landschaften schuf[2].
Nach seinem Studium der Malerei in Dresden[3] bei Wilhelm Lachnit und Rudolf Bergander war Harald Metzkes Meisterschüler von Otto Nagel in Berlin. Der ‚Cèzanne vom Prenzlauer Berg‘ verdankt diesen Namenszusatz seiner Affinität zu Werken des französischen Malers, die auch andere Künstler in den 1960er Jahren für sich entdeckten. Aus diesem Kreis entwickelte sich die ‚Berliner Schule‘[4], deren Maxime die „sinnliche Reflexion auf die Umwelt[5]“ ist. Da Metzkes sich nicht der Doktrin der offiziellen Kulturpolitik der DDR verpflichtet fühlte, unterstellte man ihm noch bis Ende der 1960er Jahre ein negatives Lebensgefühl[6] – bedingt auch durch seine ‚schwarze Periode‘ in den späten 1950ern. Des Malers Doktrin sieht Metzkes für sich selbst wie folgt:
„Mein Programm hat nur zwei Punkte. Natur und Auge. Die ethische Aufgabe: Ich erlebe, daß das Materielle mich beglückt und bedrängt, Menschen streicheln und rempeln [sich]. Der Konstruktion dieser Dinge zu einem [sic!] gilt mein Bemühen, nicht ihrer Destruktion.“[7]
Metzkes porträtiert in den ‚Näherinnen‘ keine bestimmten ‚Helden der Arbeit‘, ihm ging es mehr um „die Konzentration, die Schnelligkeit, die solche Bandarbeit abverlangt“[8]. Er wählte bewusst diese Figurengruppe, da in ihr alle Aspekte zum Ausdruck kommen: „zermürbende Monotonie wie auch das gute Gefühl, etwas mit seinen Händen zu schaffen“[9]. Zu sehen sind Arbeiterinnen des VEB Fortschritts Berlin in ihrem typischen Betriebsalltag. Jede der Frauen ist notwendig für einen ungestörten Produktionsablauf. Von einem Siegesbewusstsein des Arbeiters ist hier ebenso wenig zu spüren wie von einer idealisierten Zustandsbeschreibung der sozialistischen Gesellschaft. Der Betrachter sieht den grauen Arbeitsalltag, den täglichen Trott der Akkordarbeit, selbst die weiß-rot geblümten Stoffbahnen sowie die kleinen, beschränkten Lichtkegel der Lampen schaffen keine Unterbrechung, keinen Ausgleich. Das 1982 auf der IX. Deutschen Kunstausstellung der DDR ausgestellte Gemälde kam ein Jahr später in die Gemäldegalerie Neue Meister und ist eines von wenigen Brigadebildern im Bestand.
[1] Pablo Picasso: Die Badenden. 1918. Öl auf Leinwand, Picasso-Museum Paris.
[2] Vgl. Metzkes, Elrid; Metzkes, Harald: Textilgestaltung, Gemälde, Aquarelle, Druckgrafik. Hg. von Neue Dresdener Galerie, Heft 5, 1984, unpag.
[3] Das Studium in Dresden absolvierte Metzkes von 1949 bis 1953.
[4] Den Begriff prägte der Kunstwissenschaftler Lothar Lang.
[5] [N.N.]: Die Berliner Schule, ostdeutsche-kunstauktionen.de/neues/ausstellung-berliner/ausstellung.htm, letzter Zugriff: 18.05.2012.
[6] Vgl. Traktorist und Liebespaar. Erwerbungen aus den zentralen Kunstausstellungen der DDR im Besitz der Gemäldegalerie Neue Meister Dresden. Hg. von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Neue Meister, (Ausst.-Kat.) Dresden, 2000, S. 47.
[7] Metzkes, Harald: Äußerungen, www.harald-metzkes.de/Ausserungen/ausserungen.html, letzter Zugriff: 18.05.2012.
[8] [N.N.]: Laßt den Maler doch in Ruhe! Ateliergespräch mit dem Berliner Harald Metzkes. Berliner Zeitung am Abend, 23.01.1989.
[9] Ebd.
Zitierempfehlung: Lilian Groß: Bilddossier zu "Näherinnen" (1982) von Harald Metzkes, Juli 2012. In: Kunst in der DDR, URL: <https://bildatlas-ddr-kunst.de/knowledge/401>