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Simone Fleischer

Peter Graf, Allegorie mit Heuschrecke (1974)

In einem dunklen, blau gestrichenen Raum beleuchtet eine Glühlampe die Zwiesprache einer Frau mit einem Bildnis. In einen roten Mantel gehüllt steht sie im Zimmer und betrachtet mit vor der Brust verschränkten Armen das Gemälde. Eine üppige Büste sprengt den Rahmen des Bildes, ein braunhaariges Mädchen mit entblößter Brust schaut verträumt daraus hervor, scheint ihr Gegenüber nicht wahrzunehmen. Zu Fuße der Staffelei hat sich eine Katze niedergelassen, ihr Blick sucht den Kontakt zum Betrachter. Eine Kerze mit hoher blakender Flamme trennt die beiden Frauen voneinander. Eine Heuschrecke macht es sich darauf gemütlich. Versteckt im Hintergrund, im dunklen Blau des Raumes, findet sich ein Bild an der Wand, ein Männerporträt mit Papagei. Dieses ‚Bild im Bild‘ zeigt den Künstler, der die wundersame Begegnung im Glühlampenschein auf die Leinwand brachte.

Es ist der Maler Peter Graf, mit einem Rosenköpfchen auf der Hand, verzerrt wie in einem Konvexspiegel. Dieses Gemälde, ebenfalls im Bestand der Galerie Neue Meister[1], hängt im Hintergrund wie ein ‚Wächter‘ über die eigene malerische Phantasie.

Ingrid Koch beschreibt die „Verfremdung“ als „Schlüsselbegriff für Peter Grafs Malerei“.[2] Auch hier, in dieser Allegorie, scheint die Szene nur auf den ersten Blick realistisch aufgefasst. Bei weiterer Betrachtung aber schleichen sich Irritationen ein: die überlebensgroße Heuschrecke, das plastisch hervortretende Gemälde, die Gleichzeitigkeit von Glühlampe und Kerzenschein, gleichwohl „eine Bildwelt im Spannungsfeld zwischen Idylle und Groteske“[3].

Peter Grafs Bilderkosmos ist häufig in eigenen Erlebnissen verankert. Das erwähnte Selbstbildnis zeigt nicht irgendein Rosenköpfchen, sondern ‚sein‘ Rosenköpfchen, die Frau auf der rechten Seite der Allegorie ist nicht irgendeine Frau, sondern stellt Grafs damalige Frau Jetti dar. Und auch die Heuschrecke erfährt eine ganz eigene ikonographische Aufladung. Laut Graf, der lange nicht als Künstler anerkannt war und seinen Lebensunterhalt als Lastwagenfahrer und Lagerarbeiter bestreiten musste, hat er sie nach einer seiner LKW-Fahrten durchs Land erst im Scheinwerferlicht glänzen sehen und dann am Abend mehr tot als lebendig auf der Pritsche seines Wagens gefunden. Im Luftstrom hatte sie sich verfangen und prallte auf die Ladefläche.[4] Auch in ‚Allegorie mit Heuschrecke‘ lebt das Tier gefährlich. Die Beleuchtung bringt seine Schönheit zur Geltung, ähnlich wie Graf sie im Licht seiner Autoscheinwerfer sah, doch der Platz auf der Kerze ist unglücklich gewählt, droht sie doch hier zu verbrennen.

Das Bild setzt sich neben den privaten Deutungen auch in einen tradtionellen ikonographischen Kontext. Die Heuschrecke kann dabei als ambivalentes Zeichen gelesen werden. Zum einen birgt sie als eine der zehn biblischen Plagen zerstörerische Kraft, zum anderen erscheint sie auch im Zusammenhang mit der Auferstehung Christi, ist dann über den Tod erhaben.[5] Der Platz auf der Kerze, dem typischen Vanitasmotiv in der Stilllebenmalerei, scheint die ambivalente Todessymbolik zu bestätigen.

Kerze und Heuschrecke, fast mittig im Bild platziert, teilen den Raum in zwei Bereiche: rechts die Frau im roten Mantel mit dem Malerporträt im Hintergrund, links die Katze zu Füßen des Bildnisses. Der rote, bodenlange Mantel und die Geste der verschränkten, schützend vor die Brust erhobenen Hände verleihen der Frauenfigur rechts den Anschein einer Marienfigur, dagegen steht die linke Seite des Bildes ganz im Zeichen von (irdischer) Sinnenfreude. Die entblößten Brüste der Büste lassen an Venus denken; die Katze, ein Tier mit weiblicher Konnotation, das sowohl im Gefolge von Hexen als auch von Freya, der nordischen Fruchtbarkeitsgöttin, zu finden ist[6], betont zusätzlich die Sinnlichkeit der Szenerie.

Man kann also die ‚Allegorie mit Heuschrecke‘ lesen als ein Zwiegespräch zwischen der keuschen und der sinnlichen Liebe, zwei Seiten einer Sache, die der Künstler still im Hintergrund betrachtet. Dass die Sinnenfreude dabei der Malerei zugeschrieben wird, die dadurch quasi zum Leben erweckt wird, ist dabei sicher kein Zufall, ist doch die Kunst, das Malen für den Künstler mit einem „Zustand von Liebe während des Malens“[7] verbunden.

Anmerkungen

[1] Peter Graf: Selbstbildnis mit Papagei. 1971, Inv.-Nr. 85/46, Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden.

[2] Koch, Ingrid: Ein Maler in Dresden. In: Graf, Peter (Hg.): Peter Graf. Dresden, o.J., S. 5-11, S. 7.

[3] Claudia Keisch in einem Faltblatt zu einer Ausstellung 1975, hier zit. nach: Söder, Gert: Peter Graf, Bilder. Peter Makolies, Plastik. In: Graf, Bilder. Makolies, Plastik. Hg. von der Galerie Oben, Karl-Marx-Stadt, (Ausst.-Kat.) Karl-Marx-Stadt 1985, S. 1.

[4] Vgl: Koch, Ingrid (wie Anm. 2), S. 7; Notiz von Helga Fuhrmann, wiss. Mitarbeiterin GGNM, März 1987, nach einem Gespräch mit dem Künstler, vgl. Bildakte Peter Graf, GNM.

[5] Vgl. Sachs, Hannelore ;Badstübner, Ernst; Neumann Helga: Christliche Ikonographie in Stichworten. Leipzig 1988, S. 190.

[6] Vgl. Biedermann, Hans: Knaurs Lexikon der Symbole. Augsburg, Münschen, 2000, S. 232.

[7] Wüstefeld, Michael: Aufklang. In: Graf, Peter (Hg.): Peter Graf. Dresden, o.J., S. 93-115, S. 115.

Zitierempfehlung: Simone Fleischer: Bilddossier zu "Allegorie mit Heuschrecke" (1974) von Peter Graf, Juli 2012. In: Kunst in der DDR, URL: <https://bildatlas-ddr-kunst.de/knowledge/141>

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