Lilian Groß
© VG Bild-Kunst, Bonn 2012
In Christoph Wetzels Gemälde ‚Nach dem Einsatz‘ ist der in altmeisterlicher Manier modellierte Rücken mit dem ausgeprägten Muskelspiel das dominierende Element. Sowohl den im Bildvordergrund staffierten umgedrehten Stahlhelm als auch das geöffnete Kuvert nimmt das Auge des Betrachters erst später wahr. Der im Hintergrund sichtbare Spind mit der Nummer 493 in Verbindung mit den kahlen Wänden sowie der Titel des Gemäldes lassen darauf schließen, dass es sich um das Innere einer Kaserne handelt. Der Zigarette rauchende junge Mann ist demzufolge ein Soldat der Nationalen Volksarmee (NVA).
Diese sollte den Schutz des sozialistischen Staates vor Angriffen von außen und innen gewährleisten. Gegründet 1956 als Freiwilligenarmee wurde 1962, infolge verschiedener Ereignisse[1], die Wehrpflicht eingeführt. Jeder taugliche männliche DDR-Bürger hatte in der Folge 18 Monate seine Pflicht zu erfüllen.
Die vom Staat propagierte Nähe zwischen Künstler und Volk, also auch zur Armee, sollte ebenso bildlich zum Ausdruck kommen:
„Die sozialistische Gesellschaft hat durch ihre Existenz ihrem Soldatentum einen so grundsätzlich neuen Sinn gegeben, daß dieser in allen Gattungen der Militär-Darstellung offenbar werden muß. […] Das neue Soldatenbild muß daher helfen, Vorbehalte und Vorurteile abzubauen.“[2]
‚Nach dem Einsatz‘ ist die Abschlussarbeit des Diplomstudenten[3] Wetzels an der Hochschule für Bildende Kunst (HfBK) in Dresden. 1974 erwarb die Gemäldegalerie Neue Meister dieses Werk – es ist das einzige Bild im Bestand, das die NVA zum Thema hat. Die Armee, auch als ‚Machtinstrument der Arbeiterklasse‘ deklariert, diente dem Maler Wetzel aber mehr als einmal als Motiv.[4] Bereits 1974/75 entstand das mehrfigurige Gemälde ‚Freunde‘[5], das u. a. Angehörige der NVA beim Baden im Fluss zeigt. Im vorderen rechten Bildausschnitt sitzt ein junger Mann mit entblößtem Oberkörper, dem Betrachter den Rücken zuwendend. Die Figur des Soldaten in ‚Nach dem Einsatz‘ greift der Maler hier erneut auf.
Die Rückenfigur ist nicht erst seit Caspar David Friedrich beliebtes Motiv[6] in der Malerei[7]. Sie vertieft die Distanz zwischen Betrachter und Motiv[8], ist auch als Gegenmotiv zu der Figur des Rufers zu sehen und „fordert, durch eine starke Verfremdung eine stärkere Identifikation als der frontale Anruf“[9].
Die Intimität, die Wetzels Gemälde anhaftet – bedingt durch den geöffneten Brief, den umgekippten Stahlhelm und die Ruhe, mit der der Soldat seine Zigarette raucht –, wird durch die Tatsache, dass es sich hier um einen ‚Kämpfer für Sozialismus und Frieden‘ handelt, gebrochen. Ein solcher Kämpfer muss stark und unverwundbar sein. Wetzel zeigt uns jedoch den Menschen hinter der Uniform. Das Bekenntnis des Malers, „[…] daß ich in der Malerei indirekte Aussagen liebe, also nicht immer die Ursache zeige, sondern mitunter die Auswirkungen[10]“, lässt sich in ‚Nach dem Einsatz‘ besonders nachvollziehen: Nachrichten, gleich welcher Form, bleiben selten ohne Wirkung auf den Empfänger. Welche Botschaft dieser Brief enthält, können wir nicht wissen. Welche Wirkung die Zeilen aber auf den jungen Mann haben, können wir sehen.
[1] Gemeint sind v.a. der Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 und der Bau der Mauer am 13. August 1961.
[2] Dänhardt, Artur: Der Soldat in der Bildenden Kunst. Sächsische Zeitung, 05.05.1981.
[3] Wetzel studierte 1967-73 an der HfBK bei Gerhard Kettner, Hans Mroczinski und Fritz Eisel. Bei letztgenanntem war er Assistent bis 1977. Einen größeren Bekanntheitsgrad erreichte er durch die Ausmalung der Kuppel der wiederaufgebauten Dresdener Frauenkirche 2002-05.
[4] Im Militärhistorischen Museum Dresden befinden sich zwölf Auftragswerke des Künstlers. Vgl. Rogg, Matthias: Armee des Volkes?: Militär und Gesellschaft in der DDR. Berlin 2008, S. 135ff.
[5] Christoph Wetzel: Freunde. 1974/75, Mischtechnik auf Hartfaser, 200 x 200 cm. Militärhistorisches Museums Dresden.
[6] Z.B. Jean-Auguste-Dominique Ingres ‚Die große Odaliske‘, 1814; Caspar David Friedrich ‚Frau am Fenster‘, 1822; Salvador Dali ‚Junges Mädchen am Fenster stehend‘, 1925.
[7] Weiterführende Informationen vgl. Wilks, Guntram: Das Motiv der Rückenfigur und dessen Bedeutungswandlungen in der deutschen und skandinavischen Malerei zwischen 1800 und der Mitte der 1940er Jahre. Marburg, 2005. [Diss.]; Sugiyama, Akane: Wanderer unter dem Regenbogen – Die Rückenfigur Caspar David Friedrichs. Berlin 2007. [Diss.].
[8] Vgl. Lexikon der Filmbegriffe. www.bender-verlag.de/lexikon/. Letzter Zugriff: 17.05.2012.
[9] Vgl. Möbius, Helga: Überlegungen zur Ikonografie der DDR-Kunst. In: Weggefährten, Zeitgenossen (Ausst.-Kat.) Berlin 1979, S. 357-370, S. 369.
[10] Schumann, Henry: Ateliergespräche. Leipzig 1976, S. 251.
Zitierempfehlung: Lilian Groß: Bilddossier zu "Nach dem Einsatz" (1973) von Christoph Wetzel, Juli 2012. In: Kunst in der DDR, URL: <https://bildatlas-ddr-kunst.de/knowledge/400>