Kathleen Schröter
Vergleiche mit zeithistorischem Bilddossier von 1977 und mit dem Bilddossier von Dietulf Sander von 2003.
© VG Bild-Kunst, Bonn 2012
Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Rückkehr nach Dresden schuf Hans Grundig, der mehrere Jahre im Konzentrationslager in Sachsenhausen interniert war, ein Denkmal für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung. Das Gemälde zeigt zwei auf dem Boden liegende Leichname, der vordere trägt die Häftlingsnummer des Malers. Seine gekrümmte Haltung und der abgemagerte Körper zeugen von der zuvor erlebten Qual. Zum Schutz oder als Ausdruck von Trauer und Scham hält er die rechte Hand vor sein verletztes Gesicht, die linke krallt sich in die Erde. Der andere Häftling liegt wie im Tod erlöst langgestreckt auf dem Rücken, die knochigen Hände auf der Brust gefaltet. Hinter einem Zaun erheben sich vor einem brandrot gefärbten Himmel die Schornsteine des Krematoriums, endlose Reihen von Barracken und ein Wachturm, dessen grellgelbe Leuchtfinger bedrohlich durch die Bildmitte laufen. Ein Schwarm von Krähen kündet von Unglück und Tod.
Grundig greift bei der Darstellung dieses in der bildenden Kunst bis dahin kaum behandelten Themas auf die christliche Bildsprache zurück. Beide Leichname sind in Anlehnung an mittelalterliche Malerei auf Goldgrund gebettet. Dort symbolisierte er eine göttliche, raum- und zeitlose Sphäre, hier hebt er die dargestellte Szene über eine bloße Schilderung des Erlebten hinaus: Das Gemälde wird zu einem Gedenkbild an die Gesamtheit der Opfer, ihnen wird ihre Würde zurückgegeben. Grundig selbst schrieb dazu in einem Brief an seine jüdische Frau: „Ich wollte diese zertrümmerte wunderbare Menschlichkeit einhüllen in alle Kostbarkeit, die uns Menschen möglich ist. […] So wirken sie jetzt in eindringlicher Feierlichkeit“.
Format und Bildaufbau lassen ebenfalls an christliche Malerei denken, sie erinnern an Szenen der Grablegung und Totenklage in Altarpredellen. Die Leichname werden hier jedoch ohne vermittelnde Assistenzfiguren dargestellt: Der Betrachter vor dem zum Bildrand offenen Platz wird der Konfrontation mit den lebensgroß dargestellten Toten unmittelbar ausgesetzt, es ist an ihm selbst, sie zu beweinen.
Grundig hat lange um eine angemessene Darstellung gerungen. Dieses Gemälde stellt die zweite, mehrfach überarbeitete Fassung des Motivs dar. Es ist durch die Inschrift am unteren Bildrand drei im Widerstand tätigen Freunden des Malers gewidmet. Der rote Winkel an der Kleidung des vorderen Leichnams wurde durch einem gelben Winkel erweitert, so dass hier neben den politisch Verfolgten auch den jüdischen Opfern gedacht wird. Der an Erinnerung gemahnende Blick zurück stand jedoch der Forderung nach einem Sozialistischen Realismus entgegen, dessen Bildsprache optimistisch den Aufbau einer besseren Zukunft verdeutlichen sollte. Erst Jahre später wurden Bilder wie diese in den Kunst-Kanon der DDR eingegliedert.
Quelle: Kathleen Schröter: Hans Grundig, Opfer des Faschismus (1946). In: Ulrich Bischoff (Hrsg.): Galerie Neue Meister Dresden, Band I, Köln 2010, S. 474.