Kathleen Schröter
In dem Bemühen, die Kunstproduktion nach politischen Gesichtspunkten zu steuern, erstellten sowohl das Ministerium für Kultur (MfK) als auch (abhängig davon) die Kulturabteilungen der Bezirksräte regelmäßig Listen mit mehr oder weniger eng definierten Themen für die Vergabe von künstlerischen Aufträgen. Die Geschichte der Arbeiterbewegung, die Deutsch-Sowjetische Freundschaft, die ‚Enttarnung‘ des Imperialismus sowie Industrie, Technik und Landwirtschaft waren darin als Aufgabenstellung genauso zu finden wie die Themenbereiche Jugend, Sport, Familie, Freizeit usw. Die zum Teil mit Vertretern des Verbands Bildender Künstler (VBK) erarbeiteten Listen konnten bereits konkrete Vorschläge für die Technik, für den das jeweilige Thema umsetzenden Künstler als auch für mögliche ‚gesellschaftliche Partner‘ (s.u.) enthalten. Anlass für eine erhöhte Zahl von Auftragsvergaben gaben neben Jahrestagen und Jubiläen die regelmäßig wiederkehrenden Bezirkskunstausstellungen sowie die zentralen Kunstausstellungen der DDR.[1]
In der Regel schlossen die Bezirksräte mit den Künstlern einen Werkvertrag ab, der unterschiedlich differenziert Thema-, Stil- und Materialvorgaben, die Bearbeitungszeit sowie das nach der Honorarordnung geregelte Entgelt für den Künstler festlegte. Letzteres wurde häufig in Raten gezahlt – die erste bei Vertragsabschluss, die zweite bei einer Zwischenabnahme und die dritte bei der Endabnahme.[2] Zwischen- und Endabnahme wurden von Kommissionen vorgenommen, denen neben einzelnen Mitarbeitern vom Bezirksrat auch Vertreter des VBK sowie des ‚gesellschaftlichen Partners‘ angehörten. Der ‚gesellschaftliche Partner‘, möglichst ein Arbeiterkollektiv eines Betriebes oder einer gesellschaftlichen bzw. einer staatlichen Einrichtung, wurde ebenfalls im Vertrag festgehalten. Er diente als Bindeglied zwischen Arbeitswelt und Künstler, beide sollten voneinander profitieren: Der am Entstehungsprozess des Werkes teilhabende ‚gesellschaftliche Partner‘ brachte seine Sichtweise in die Arbeit des Künstlers mit ein und gewann gleichzeitig Einblick in den künstlerischen Schaffensprozess und damit Verständnis für die Arbeit des Künstlers.[3]
Auch die Festlegung des zukünftigen Standortes des Kunstwerkes war im Vertrag vorgesehen und fiel im besten Fall mit der Arbeitsstätte des ‚gesellschaftlichen Partners‘ zusammen – die „Bindung zwischen Künstlern und Nutzern sollte Wirkung und Wertschätzung der Werke in der Zukunft sichern“[4]. Die Standortfestlegung wurde jedoch zunehmend zum Ausnahmefall, und im letzten Jahrzehnt der DDR kam es durch die hohe Mittelvergabe zu einer ‚Überproduktion‘ von Auftragskunst, so dass die Depots der Bezirksräte überfüllt, Nutzer zum Teil krampfhaft gesucht wurden.[5] Die Kunstwerke sollten jedoch einer größeren Öffentlichkeit zugeführt werden, so dass sie möglichst mittels eines Leihvertrages oder einer Übereignung an unterschiedliche Einrichtungen z.B. des Gesundheits- und Bildungswesens übergeben wurden. Auch Museen der DDR profitierten in erheblichem Maße von dieser staatlichen Kunstförderung.[6] Wie Betriebe, Verbände und gesellschaftliche Organisationen konnten sie als staatliche Institutionen Anträge für den Erwerb eines Kunstwerkes an die Kulturabteilungen der Bezirksräte stellen.
Für die Künstler bedeutete diese Art der staatlicher Kunstförderung eine sichere Einnahmemöglichkeit und – bis sich nach der Gründung des Staatlichen Kunsthandels 1973 allmählich ein Kunstmarkt in der DDR entwickelte – lange Zeit auch für viele die Haupterwerbsquelle.[7] Ihr Umgang mit Auftragswerken war unterschiedlich: Während manche sich komplett verweigerten, hatten andere ein ehrliches Interesse an der Auseinandersetzung mit ‚gesellschaftlichen Partnern‘ und schätzten ihr ‚Gebrauchtwerden‘ in der sozialistischen Gesellschaft. Ein Künstler wie Hans Grundig bat mehrfach um Aufträge, sollte aber nie einen erhalten.[8] Einige Künstler malten opportunistisch alles, was man ihnen auftrug, andere wählten aus und nahmen nur die Aufträge an, die ihnen zusagten, interpretierten sie nach ihrem Belieben oder stellten die Themen selbst. Es war möglich, dass ein Künstler hochdotierte Aufträge erhielt und gleichzeitig von der Staatssicherheit überwacht wurde.[9]
Die vom Ministerium für Kultur und den Räten der Bezirke regelmäßig erarbeiteten Listen mit Themenvorgaben enthielten zudem oftmals einen größeren Interpretationsspielraum, der je nach dem politischen Klima und abhängig von den zuständigen Funktionären mal mehr, mal weniger genutzt werden konnte. [10] Die Kluft zwischen dem „kultur- und kunstpolitischen ‚Getöse‘, mit dem die Leitungen von Partei, Staat, Verbandsführung u.a. auf Auftragskunst, deren Aufgaben und Themen orientierten einerseits und den vertraglich formulierten Aufträgen bzw. den nicht schriftlich fixierten Absprachen sowie deren künstlerischen Ergebnissen andererseits“[11] wurde über die Jahrzehnte immer größer. Die „jederzeit sprachlich vorzeigbare[] Schicht politischer Leerformeln, mit denen die Konzeptionen, Beschlüsse und Maßnahmenpläne gesellschaftlicher Auftraggeber äußerlich aufwarteten“[12], hatten oft nur noch wenig mit der künstlerischen Realität gemein. Selbst einfache Atelierankäufe wurden nachträglich als Aufträge deklariert, das gesamte Procedere des ‚gesellschaftlichen Auftragswesen‘ geriet so zunehmend zur Farce.[13] Es entwickelte sich mehr und mehr zu einem breiten sozialen Fördersystem, die politisch-ideologische Lenkung der Künstler und Künstlerinnen über die staatliche Kunstpolitik hingegen verlor über die Jahrzehnte an Wirkkraft.[14]
[1] Die im Hinblick auf eine Ausstellung in Auftrag gegebenen Werke wurden jedoch nicht zwingend in diese Ausstellung aufgenommen: Von sechs Aufträgen des Kulturfonds der DDR für die Fünfte Deutsche Kunstaustellung 1958 finden sich nur zwei als Abbildungen im Katalog, vgl. Vierneisel, Beatrice: Ein Versuch, das ‚Auftragswesen’ der DDR auf dem Gebiet der bildenden Kunst zu erhellen, in: Dokumentationszentrum Kunst der DDR (Hrsg.): Volks eigene Bilder. Kunstbesitz der Parteien und Massenorganisationen der DDR, Berlin 1999, S. 137-156, hier S. 142f. Von 17 Kunstwerken, die der Berliner Magistrat 1986 für die X. Kunstausstellung in Auftrag gegeben hatte, wurden elf rechtzeitig fertig, sieben wurden eingereicht, keines davon passierte die Jury. Auf der IX. Kunstausstellung der DDR waren nur rund 10 Prozent, auf der X. Kunstausstellung der DDR 21 Prozent der ausgestellten Werke Auftragsarbeiten (vgl. Lüttich, Jürgen; Scheel, Joachim; Salchow, Claudia: Funktionen, Mechanismen und Subjekte im gesellschaftlichen Auftragswesen der DDR zwischen 1970 und 1990. Malerei, Graphik und Kleinplastik, in: Kaiser, Paul; Rehberg, Karl-Siegbert (Hrsg.): Enge und Vielfalt. Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR, Hamburg 1999, S. 85-129, S. 95f.), wobei die politisch eingeforderten 20 Prozent Auftragswerke unter den ausgestellten Arbeiten bei der X. Kunstausstellung der DDR nur „durch listige Normauslegungen [...] erfüllt werden konnte.“ [Rehberg, Karl-Siegbert: Künstlerische Leistungsschau und ästhetischer ‚Vorschein‘. Die zehn Zentralen Kunstausstellungen der DDR in Dresden, in: Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hrsg.): Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Berichte, Beiträge 2010. Band 36, Dresden, Altenburg 2012, S. 215-225, hier S. 222; vgl. auch Kaiser, Paul: ‚Leistungsschau‘ und Ideenverkörperung: die zentralen Kunstausstellungen der DDR, in: Kunst in der DDR. Eine Retrospektive in der Nationalgalerie, hg. von Eugen Blume und Roland März, Ausst.-Kat., Berlin 2003, S. 93-105, hier S. 104].
[2] Vgl. Anweisung über die Verwendung der Kulturfondsmittel für bildende Kunst in den örtlichen Staatsorganen vom 25.01.1962. In: Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Kultur, Nr. 3, 27.04.1962, S. 19-21; hierin ist detailliert das Prozedere bei Auftragsarbeiten beschrieben. Vgl. auch Pinzer, Gert: Die staatliche Auftragspolitik in der Bildenden Kunst – Gedanken und Erfahrungen. In: Dresdner Hefte. Beiträge zur Kunstpolitik, Heft 2, 1986, S. 9-15, hier S. 13ff.
[3] Vgl. Lüttich, Scheel, Salchow 1999, wie Anm. 1, S. 101f.
[4] Wagler, Silke: Kontinuitäten im Fördern, Sammeln und Vermitteln zeitgenössischer Kunst: vom Sekretariat für Kunstausstellungen zum Kunstfonds des Freistaates Sachsen, in: Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hsrg.): Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Berichte, Beiträge 2010, Band 36, Dresden, Altenburg 2012, S. 226-237, hier S. 228.
[5] Vgl. Mann, Bärbel: Auftragskunst zwischen politischem Diktat und künstlerischer Freizügigkeit, in: Feist, Günter; Gillen, Eckhart; Vierneisel, Beatrice: Kunstdokumentation SBZ/DDR, Köln 1996, S. 582-603, hier S. 588; Lüttich, Scheel, Salchow 1999, wie Anm. 1, S. 86, 104, 108.
[6] Vgl. Kaiser, Paul: Die Grenzen der Verständigung. Künstlerstrategien und individuelle Handlungsräume im staatlichen Auftragswesen der DDR, in: Kaiser, Paul; Rehberg, Karl-Siegbert (Hrsg.): Enge und Vielfalt. Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR, Hamburg 1999, S. 447-474, hier S. 468.
[7] Vgl. Lüttich, Scheel, Salchow 1999, wie Anm. 1, S. 85. Die Jahreseinkommen, die die Künstler über Aufträge und Verkäufe im Durchschnitt erzielten, waren dabei im Vergleich zu anderen Gesellschaftsgruppen in der Regel beachtlich hoch. Andererseits erlaubten die niedrigen Lebenshaltungskosten in der DDR vor allem den Künstlern in den 1980er Jahren aus der staatlichen Kunstförderung auszusteigen. Vgl. Schütrumpf, Jörn: Die politischen Determinanten und die Herausbildung der organisatorischen Strukturen von Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR 1949-1963, in: Kaiser, Paul; Rehberg, Karl-Siegbert (Hrsg.): Enge und Vielfalt. Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR, Hamburg 1999, S. 59-81, hier S. 77; Schütrumpf, Jörn: Auftragspolitik in der DDR. In: Monika Flacke (Hrsg.): Auftrag: Kunst 1949-1990. Bildende Künstler in der DDR zwischen Ästhetik und Politik, Ausst.-Kat., München, Berlin 1995, S. 13-29, hier S. 24f.; Schönfeld, Martin: Vom Auftrag zur Vergesellschaftung des Künstlers. Strategien zu einer Neubestimmung der gesellschaftlichen Rolle des Künstlers in der DDR, in: Dokumentationszentrum Kunst der DDR (Hrsg.): Volks eigene Bilder. Kunstbesitz der Parteien und Massenorganisationen der DDR. Berlin 1999, S. 67-89, hier S. 72; Vierneisel, 1999, wie Anm. 1, S. 140, 153; Kaiser 1999, wie Anm. 6, S. 425.
[8] Vgl. Schütrumpf, 1995, wie Anm.7, S. 13-29, S. 18.
[9] Vgl. Lüttich, Scheel, Salchow, wie Anm. 1, S. 106f.; Flacke, Monika: Einführung. In: Monika Flacke (Hrsg.): Auftrag: Kunst 1949-1990. Bildende Künstler in der DDR zwischen Ästhetik und Politik, Ausst.-Kat., München, Berlin 1995, S. 9-12, hier S. 9f.; Schönfeld 1999, wie Anm. 7, S. 78.
[10] Vgl. Mann, 1996, wie Anm. 5, S. 584f., 591; Schirmer, Herbert: Der Kulturfonds der DDR 1949-1990, in: Kaiser, Paul; Rehberg, Karl-Siegbert (Hrsg.): Enge und Vielfalt. Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR, Hamburg 1999, S. 131-142, hier S. 136; Lüttich, Scheel, Salchow, 1999, wie Anm. 1, S.97ff., 107; Vierneisel, 1999, wie Anm. 1, S. 147.
[11] Lüttich, Scheel, Salchow, 1999, wie Anm. 1, S. 93.
[12] Mann, 1996, wie Anm. 7, S. 589f.
[13] Vgl. Kaiser, 1999, wie Anm. 6, S. 466f., Schütrumpf 1995, wie Anm. 7, S. 24.
[14] Vgl. Mann, 1996, wie Anm. 7, S. 582, 589; Kaiser, 1999, wie Anm. 6, S. 461, 465f., Kaiser, Paul; Rehberg, Karl-Siegbert: Editorial, in: Dies. (Hrsg.): Enge und Vielfalt. Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR, Hamburg 1999, S. 6-7, hier S. 7.
Dieser Text ist innerhalb des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projektes „Bildatlas: Kunst in der DDR“ im Teilprojekt der Galerie Neue Meister/ Staatliche Kunstsammlungen Dresden entstanden. „Bildatlas: Kunst in der DDR“ war ein Gemeinschaftsprojekt der TU Dresden, der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und dem Kunstarchiv Beeskow.
Zitierempfehlung: Kathleen Schröter: Bezirksräte und das „gesellschaftliche Auftragswesen“. Zum Hintergrund von Auftragskunst. Oktober 2012.
. In: Kunst in der DDR, URL: <https://bildatlas-ddr-kunst.de/knowledge/633>