Anke Jenckel, Monika Flacke
Das gesamte Vermögen der Parteien und Massenorganisationen der DDR war bereits am 1. Juni 1990 von der Volkskammer der DDR unter treuhänderische Verwaltung gestellt worden. Hierzu gehörten neben den Vermögenswerten der SED auch die der Blockparteien, des FDGB, der DSF, der FDJ und andere. Zu deren Verwaltung berief der Ministerpräsident der DDR eine Unabhängige Kommission Parteivermögen (kurz: UKPV), die zur Ermittlung des Vermögensbestandes mit Rechten ausgestattet wurde, die dem Strafprozessrecht entsprachen. Nach der vollzogenen deutschen Einheit übernahm die Treuhandanstalt die tatsächliche Verwaltung, während es weiter Aufgabe der UKPV war, den Bestand des Vermögens zu ermitteln und über dessen Verwendung zu entscheiden. Nach den Maßgaben des Einigungsvertrages war zu entscheiden, welche Vermögensteile mit rechtsstaatlichen Mitteln erworben und daher den Parteien bzw. Massenorganisation oder ihren Nachfolgern herauszugeben waren und welche an Alteigentümer restituiert werden mussten. Soweit weder der eine noch der andere Sachverhalt zutraf, war das Vermögen zu verwerten und der Erlös den fünf neuen Ländern und Berlin zur gemeinnützigen Verwendung zur Verfügung zu stellen.
Josef Dierdorf, Direktor Sondervermögen der Treuhandanstalt, der mit der treuhänderischen Verwaltung des Vermögens der Parteien und Massenorganisation betraut war, beschäftigte schnell die Frage, wie mit Gegenständen richtig umzugehen sei, die sich in den einstigen Parteigebäuden, Unternehmen, Schulungs- und Ferienheimen, Häusern etc. befanden und als Kunst betrachtet werden können. Es war für ihn offenkundig, dass diese Objekte nicht ohne Weiteres als Inventar dort bleiben konnten, um nicht mit der Immobilie bzw. dem Unternehmen verkauft oder ohne Dokumentation gar entsorgt zu werden. Gerade im Hinblick auf die Möglichkeit, dass es sich in großem Maße um Staats- bzw. Parteikunst handeln könnte, waren wirtschaftlicher Wert einerseits sowie historische und künstlerische Bedeutung andererseits zunächst nicht einzuschätzen. Ganz unabhängig davon gab es keinerlei Anhaltspunkte dafür, wie viele solcher Gegenstände sich tatsächlich in den Objekten befanden.
Nach der aufsehenerregenden Aktion zur Sicherung der Leuchtschrift „Plaste und Elaste aus Schkopau“ an der Elbebrücke, die Monika Flacke, Sammlungsleiterin für die Kunst des 20. Jahrhunderts im Deutschen Historischen Museum Berlin (DHM) vorgenommen hatte, wurde sie um die Jahreswende 1992/93 als Ratgeberin gefragt. Ein von ihr zusammengestelltes Team aus Kunsthistorikern und Historikern[1] und zwei ehemaligen Mitarbeiterinnen des FDGB[2], wurde damit beauftragt, den Bestand an Bildern und Plastiken und was sonst noch als Kunst betrachtet werden konnte, in den Objekten, die unter treuhänderischer Verwaltung standen, zu sichten, zu inventarisieren und schließlich vor Verwertung der Objekte einzulagern. Dafür, dass das Deutsche Historische Museum das entsprechende Inventarisierungsprogramm (GOS) kostenlos zur Verfügung stellte, wurde ihm das Recht eingeräumt, den so zu erstellenden Bestandskatalog auch für sich zu nutzen.
Dem Direktorat Sondervermögen wie dem Team war es gleichermaßen wichtig, die Bestände nicht einfach zu sichern, sondern eine genaue Dokumentation darüber zu führen, wie sich die Sicherung seit der Überführung in treuhänderische Verwaltung vollzog. Es kam also darauf an, jederzeit den Nachweis darüber führen zu können, welche Kunstwerke zu welchem Zeitpunkt von wo nach wo transportiert worden waren, wo sie sich augenblicklich befanden und, vor allem, um welche Kunstwerke es sich handelte. Es sollte sichergestellt sein, dass zweifelsfrei für eine beliebig lange Zeit nachvollzogen werden konnte, welche Werke in treuhänderische Verwaltung übernommen worden waren, woher sie stammten und wo sie sich von der Übernahme aus den Immobilien bis zur endgültigen Übergabe an den Rechtsnachfolger befunden hatten. Die vom DHM zur Verfügung gestellte Datenbank ermöglichte die Inventarisierung bzw. Registrierung der Bestände. Mit einigen Ergänzungen bezüglich der Eingabeanforderungen war die Datenbank ein wichtiges Instrument, nicht nur den Nachweis über die Werke zu führen, sondern auch deren Verbleib zu dokumentieren, ihre Provenienz einzugeben usw. Wie bei jeder musealen Inventarisierungsanforderung üblich, gab es auch hier Felder für die Namen und Vornamen der Künstlerinnen und Künstler, für Titel , Entstehungsjahr, Maße, Technik, Größe und für alle weiteren Angaben, die irgendwie greifbar waren – z.B. überlieferte Angaben darüber, ob es sich bei einem Objekt um einen Auftrag, einen Ankauf oder ein Geschenk gehandelt hatte, wie hoch die Kosten für den Erwerb gewesen waren usw. Auch biografische Informationen über die Künstler konnten eingetragen werden oder Wissenswertes über die Arbeiten: etwa ob sie auf Ausstellungen gezeigt oder in kunsthistorischen Werken zitiert worden waren. Von zentraler Bedeutung sollte jedoch die Möglichkeit werden, die Provenienz einzutragen, d.h. festzuhalten, zu welchem Bestand sie gehörten (FDGB, SED usw.), aus welchem der neuen Bundesländer sie stammten und wo und zu welchem Zeitpunkt die Werke abgeholt worden waren. Allen Beteiligten war klar, dass irgendwann niemand mehr würde nachvollziehen können, woher die Werke stammten, wenn dieser Eintrag nicht akribisch für jedes einzelne Objekt und in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Übergabe erfolgte.
Jedes Kunstwerk erhielt ein eigenes Datenblatt mit Inventarnummer, mit nur wenigen Ausnahmen wurde auch jede Arbeit fotografiert. Die fortlaufende Nummer wurde vom System vergeben. Diese automatische fortlaufende Nummerierung in der Datenbank stellte sicher, dass keine einzelnen Einträge gelöscht werden konnten, ohne dass dies langfristig auffallen würde. Es gab damals noch keine Möglichkeit, Abbildungen ohne großen Aufwand in die Dateien einfließen zu lassen. Deshalb wurde von jeder Fotografie ein Abzug in Auftrag gegeben, jedes ausgefüllte Datenblatt ausgedruckt, numerisch abgelegt und mit einem Foto des entsprechenden Objekts versehen. Im Wesentlichen wurden alle Werke auf diese Weise inventarisiert. So entstand ein Inventar, in dem über jedes Objekt, das unter treuhänderische Verwaltung gestellt worden war, Nachweis geführt werden konnte.
Neben den juristischen Fragen war auch die Frage der Einlagerung von Bedeutung. Wohin also mit all den Werken, die aus Ferienheimen, Parteizentralen usw. kamen? Bevor die Sicherstellung beginnen konnte, musste ein Depot gefunden werden, in dem die Bestände eingelagert werden konnten. Auch dieses Problem konnte das Direktorat schnell lösen. Es stellte den Keller des Gebäudes der LDPD und NDPD (heute Haus des Handwerks) in der Berliner Mohrenstraße 20/21 zur Verfügung. Dieser Keller des 1908 erbauten Geschäftshauses war zum Tresor ausgebaut worden, als 1920 die Deutsch-Südamerikanische Bank einzog. Der Tresor war geeignet, die Werke aufzunehmen, er war von ausreichender Größe, gut klimatisiert und mit tragfähigen Regalen eingerichtet. Hierher wurden fast alle Werke der Parteien und Massenorganisationen gebracht, die nicht zu dem Bestand des FDGB gehört hatten. Die Werke aus dem Besitz des FDGB wurden in dessen ehemaligem Hauptgebäude an der Jannowitzbrücke zusammengezogen.
Das Team begann im März 1993 mit seiner Arbeit. Bis 1996 erhielt es jeweils direkt vor der Verwertung von Immobilien (Ferienhäuser, Hotels, Gästehäuser Parteizentralen usw.) Nachricht, sicherte die dort vorhandenen kunstgewerblichen und Kunstbestände und beräumte die Häuser. Wann immer es möglich war, wurde die Erstinventarisierung mithilfe der auf einem Notebook installierten Datenbank bereits an Ort und Stelle vorgenommen. Alle Gegenstände wurden in das zentrale Depot in der Mohrenstraße bzw. in das Gebäude des FDGB an der Jannowitzbrücke gebracht. Insgesamt wurden Auf diese Weise an ca. 200 Orten von Aken bis Zörbig, von Angermünde bis Reichenbach mehr als 12 000 Objekte aus den fünf neuen Bundesländern gesichert. Dabei kamen fast 6 000 Objekte aus Berlin, fast 1 600 aus Brandenburg, nicht ganz 1 500 aus Mecklenburg-Vorpommern, über 2 300 aus Sachsen und mehr als 1 000 aus Sachsen-Anhalt.
Nur selten waren die Werke bereits registriert. Gelegentlich gab es Listen, die aber unvollständig waren oder mehrfach überarbeitet und oft nicht den aktuellen Stand widerspiegelten. In den meisten Fällen wurden die Arbeiten mit der Sicherstellung durch die Treuhand erstmals inventarisiert. Anders war dies bei den Beständen des FDGB, dem Gewerkschaftsbund der DDR, der ein großer Auftraggeber für Kunst gewesen war. Die Werke waren zumeist erfasst, allerdings nur auf Karteikarten. Sie wurden deshalb für die Treuhandanstalt in der Datenbank noch einmal inventarisiert. Hier halfen zwei ehemalige Mitarbeiterinnen dieser Organisation, die diesen wichtigen Bestand gut kannten. Sie hatten selbst Aufträge an Künstler vergeben und waren bestens mit den Bildern und Werken vertraut. Ihre Kenntnisse und ihr Wissen sind in die Datenbank eingeflossen und damit überliefert.
Zwischen 1993 und 1996 wurden Arbeiten verschiedener Gattungen und von höchst unterschiedlicher Qualität: erfasst. Darunter befanden sich Gemälde, Grafiken, Skulpturen, Kunstgewerbe, Medaillen, aber auch Kunstmappen.[3]
Die Arbeitsgruppe verwahrte und inventarisierte jedes übernommene Stück mit derselben Sorgfalt, ohne über dessen künstlerische oder historische Bedeutung zu urteilen.
Nachdem ca. ein halbes Jahr lang eingesammelt und inventarisiert worden war, stand die Frage auf der Tagesordnung, was mit diesem Bestand zukünftig passieren solle. Josef Dierdorf vom Direktorat Sondervermögen wollte diese Frage so klären, dass der Umgang der Treuhandanstalt mit diesem Problem auch in Zukunft Bestand vor der Kritik aus den Reihen der Kunsthistoriker und der interessierten Öffentlichkeit haben würde. Entsprechend einem Vorschlag von Monika Flacke sollte hierüber öffentlich debattiert werden. Aus diesem Grunde entschloss sich das Direktorat Sondervermögen, zusammen mit dem Deutschen Historischen Museum ein Symposium zu veranstalten, das die Frage über die Zukunft dieses Bestandes mit Experten und der Öffentlichkeit diskutieren sollte.
Unter dem Titel: „Auf der Suche nach dem verlorenen Staat. Die Kunst der Parteien und Massenorganisationen der DDR“ fand das Symposium im Kinosaal des Deutschen Historischen Museums am 13. und 14. Dezember 1993 statt. Dieses Symposium war zugleich ein erster Beitrag zu Aufarbeitung dieses inzwischen sehr kontrovers diskutierten Themas. Das Programm war so aufgebaut, dass sowohl übergeordnete Themen wie auch Fragen zum Bestand selbst behandelt wurden.
Eingeladen waren Kunsthistoriker und Historiker aus den neuen wie den alten Bundesländern. Zu den Sachverständigen gehörten Dr. Bruno Flierl, Prof. Dr. Detlef Hoffmann, Prof. Dr. Heinz-Dieter Kittsteiner, Dr. Siegfried Lokatis, Prof. Dr. Harald Olbrich, Prof. Dr. Jörn Rüsen und Prof. Dr. Martin Warnke.Es gab Vorträge und eine Podiumsdiskussion. Der Kinosaal des Deutschen Historischen Museums war bis zum letzten Platz besetzt, die zahlreich anwesenden Fernseh-, Radio- und Pressevertreter verfolgten die zu jener Zeit angeheizte Debatte mit großem Interesse. Kaum ein Fernseh- bzw. Radiosender, kaum eine Zeitung oder Magazin, das nicht über dieses Symposium berichtet hätte.[4]. Um Ruhe für die Expertenrunde zu haben, wurde am letzten Tag die Öffentlichkeit ausgeschlossen. In der Bibliothek des Museum erarbeitete die Expertenrunde aufgrund der während des Symposiums gewonnenen Erkenntnisse eine „Empfehlung zur gemeinnützigen Verwendung des Kunstbestandes der Parteien und Massenorganisationen“[5].
Sie empfahlen der Treuhandanstalt in einem einstimmig gefassten Beschluss, „eine Forschungsstelle zur ‚Kunst der Diktaturen des 20. Jahrhunderts’“ einzurichten.
Sie hielten es für „unerlässlich, den Kunstbestand ... zunächst zusammenzuhalten“. Die Forschungsstelle solle in „vergleichender Perspektive das Thema ‚Kunst in der Diktatur’“ bearbeiten, dabei insbesondere „die Kunst des Nationalsozialismus und des Stalinismus berücksichtigen“, aber auch auf die internationale Kunstentwicklung Bezug nehmen. Die Arbeit der Forschungsstelle solle auf zehn Jahren begrenzt werden. Außerdem solle diese Forschungsstelle einen Vorschlag über den endgültigen Verbleib der Bestände nach dieser Zeit vorlegen. Ausdrücklich wurde darauf hingewiesen, dass interdisziplinär gearbeitet werde solle und auch andere Sammlungsbestände in die Forschung mit einbezogen werden sollten – genannt wurden die Museen in den neuen Bundesländern, aber auch die Sammlungen der NVA. Kooperationen, etwa mit dem „Forschungsschwerpunkt zeithistorische Studien“, heute Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) wurde ebenfalls auf die Agenda gesetzt.[6]
Für die UKPV war es zwar nicht schwierig gewesen festzustellen, dass diese Kunstwerke fast ausschließlich den fünf neuen Ländern und Berlin zur gemeinnützigen Verwendung zur Verfügung zu stellen seien – also weder zu restituieren noch an die Rechtsnachfolger der Parteien oder Massenorganisation herauszugeben waren. Nun stellte sich jedoch die Frage, wie dies zu geschehen habe, wie also diese Gegenstände „gemeinnützig verwandt“ werden könnten. Eine wirtschaftliche Verwertung der Objekte kam wegen deren zeitgeschichtlicher Bedeutung ganz offensichtlich nicht in Frage.
Die Treuhandanstalt befürwortete den Vorschlag der Wissenschaftler und erstellte schon im Februar 1994 ein detailliertes Konzept, wie eine solche Forschungsstelle auf zehn Jahre auszustatten sei und welche Kosten dadurch entstehen würden. Sie hätte aus dem Erlös von Verwertung anderen Vermögens bezahlt werden können. Die Forschungsstelle, die dem DHM angegliedert werden sollte, hätte mit einem Leiter, einem Fellowship, vier Stipendiaten, zwei Restaurateuren, Sachbearbeiter, Depotwart und Hausmeister ausgerüstet werden sollen. Es war in Aussicht genommen worden, über die Zusammenführung der Kunst in ein einheitliches Depot unter der Federführung des Bundesministeriums der Finanzen, das bereits die Sammelstelle DDR-Kunst, die Auftragskunst der NVA und schließlich auch die Kunst der NS-Zeit verwaltete, zu sprechen. Konkrete Grundstücke mit vorhandenen Hallen kamen hierfür in Betracht. Die Gesamtkosten des Projektes wurden auf ca. 20 Millionen DM geschätzt.
In der Sitzung der UKPV im März 1994 stellte die Treuhandanstalt das Konzept den Mitgliedern vor. Dabei war auch das DHM durch seinen damaligen Generaldirektor Christoph Stölzl und Monika Flacke vertreten. Es wurde beschlossen, die neuen Länder und Berlin direkt an der Entscheidungsfindung zu beteiligen. Daraufhin luden UKPV und Treuhandanstalt zu einem Gespräch, das Ende April 1994 stattfand. In diesem Gespräch wies der Vorsitzende der UKPV, Herr Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, darauf hin, dass die UKPV über die Verwendung der Kunstgegenstände des Sondervermögens nicht ohne Zustimmung der betroffenen Ländern entscheiden wolle. Zugleich stellte er klar, dass ein für das Forschungsprojekt gegebenenfalls zur Verfügung zu stellender Geldbetrag von der jeweiligen Landesquote an dem für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung gestellten Sondervermögen abgezogen werden müsste, wobei der Anteil des für kulturelle Zwecke zu verwendenden Sondervermögens wahrscheinlich schon erschöpft sei. Die Vertreter der Länder reagierten überwiegend skeptisch auf den Vorschlag, das Forschungsvorhaben in Verbindung mit dem DHM zu organisieren. Die Vertreterin des Landes Thüringen äußerte den Wunsch, die Kunstgegenstände auf die Länder zu verteilen. Insoweit sei eine Arbeitsgruppe unter der Federführung Sachsens mit dem Auftrag gegründet worden, einen gemeinsamen Vorschlag zu erarbeiten. Der Leiter des Direktorats Sondervermögen der Treuhandanstalt, Josef Dierdorf, wies darauf hin, dass es bei der Verteilung der gesamten Kunstwerke auf die Länder bleibe, wenn sich die Ländern nicht einstimmig zu einem Verwendungsvorschlag durchringen könnten.
Eine daraufhin eingesetzte Arbeitsgruppe erarbeitete einen Vertrag, wonach die Werke den fünf neuen Ländern zu Eigentum bzw. zunächst leihweise überlassen wurden, soweit noch nicht über den rechtmäßigen Erwerb durch die Unabhängige Kommission entschieden worden war. Er beinhaltete, dass jedes Land die Kunstgegenstände erhielt, die auf seinem Gebiet aufgefunden worden waren. Einige Gegenstände wurden dem DHM bis einschließlich Mai 1995 für die Ausstellung „Auftrag: Kunst“ als Leihgaben überlassen. Zudem hatten die betroffenen Länder errechnet, dass sie einen Finanzierungsbedarf von rund 3,3, Millionen DM für die Übernahme der Kunstgegenstände für die Zeit von Oktober 1994 bis Ende 1997 haben würden.
In der Sitzung der UKPV im September 1994, in der auch die Vertreter der Länder zugegen waren, beschloss die UKPV einstimmig, der Treuhandanstalt ihr Einvernehmen zur Übertragung der Kunstgegenstände an und zur Zuweisung von DM 3.321.185,00[7] auf die neuen Bundesländer und Berlin gegenüber der Treuhandanstalt zu erteilen. Das Geld wurde zweckgebunden für „Maßnahmen im Zuge der Übernahme und Aufbewahrung der Kunstgegenstände“ zugewiesen und auf die Gesamtsumme des den jeweiligen Ländern zustehenden Anteils angerechnet.
Als Voraussetzung der Auslieferung der Werke nach dem Vertrag zwischen Treuhandanstalt und den neuen Bundesländern war vorgesehen, dass die Länder bis zum 30. September 1994 einen Ort benennen wollten, an dem die Werke nach Übergabe deponiert werden sollten. Die Treuhandanstalt würde dann bis zum 31. Dezember 1994 die Bilder übergeben. Das Direktorat Sondervermögen der Treuhandanstalt setzte die Länder mit ihrem Millionenbetrag in den Stand, die bis dahin nach musealen Gesichtspunkten ordnungsgemäß verwalteten Bestände zu übernehmen. Allerdings hatte es auch Verhandlungen innerhalb der Länder gegeben. So einigten sich die Länder Thüringen und Sachsen darauf, die Bestände gemeinsam zu verwalten und ein gemeinsames Depot auf der Feste Königstein einzurichten. In Beeskow übernahm der ehemalige Kulturminister der DDR, Herbert Schirmer, der nun Direktor des Burgmuseums in Beeskow geworden war, die Werke nicht nur aus Brandenburg, sondern auch aus Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Damit war das territoriale Prinzip, das so vehement verteidigt worden war, durchbrochen.
Ab Anfang 1995 wurde der größte Teil aus der treuhänderischen in die Verwaltung der neuen Bundesländer in Beeskow in Brandenburg und auf der Festung Königstein in Sachsen übergeben. (Abb. Zeitungsartikel Sächsische Zeitung Dresden 10.5.1995).
Die Übergabe erfolgte nach strengen Regeln. Alle Werke wurden in der Mohrenstraße bzw. im Gebäude des ehemaligen FDGB mit Unterstützung durch Restauratoren, wie für Kunstwerke üblich, verpackt, um dann in ihre Bestimmungsorte gebracht zu werden.
Für jedes zu übergebende Werk wurde das zugehörige Datenblatt dreimal ausgedruckt. Bei der Übergabe bestätigten mit ihrer Unterschrift die übernehmenden wie die übergebenden Beauftragten der Neuen Bundesländer wie der Treuhandanstalt die ordnungsgemäße Übernahme. Mit diesen Unterschriften wurden die Werke aus der treuhänderischen Verwaltung entlassen und gingen ordnungsgemäß in das Eigentum der Neuen Bundesländer über.
Heute – mehr als zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung – lassen sich die damaligen Vorgänge mit einer gewissen historische Distanz betrachten. Die Debatte um die Kunst in der oder aus der DDR hat sich seitdem kaum verändert. Zu hören sind nach wie vor die gleichen Argumente, wenn sie auch nicht mehr so vehement vorgetragen werden. Daraus könnte man schließen, dass am Ende die Ablehnung des Vorschlags der Wissenschaftler auf dem Symposium im Dezember 1994 durch die fünf neuen Länder und Berlin die falsche Entscheidung gewesen sei. Ganz sicher hätte die Erforschung der „Kunst in der Diktatur“ neue Kenntnisse, neue Argumente, eine vergleichende Perspektive zur Bundesrepublik Deutschland, zum Nationalsozialismus, zur internationalen Kunstszene und zur DDR-Kunst mit sich gebracht. Aber zur damaligen Zeit bestand bei den fünf neuen Ländern keine Bereitschaft zur kritischen Auseinandersetzung. So ist eine Situation entstanden, die als ambivalent bezeichnet werden kann. Einerseits gibt es in den neuen Bundesländern (die so neu ja längst nicht mehr sind) ein großes Bedauern darüber, dass die Kunst der DDR in den alten Bundesländern seit 1989 kaum noch wahrgenommen wird. Andererseits wurde ja gerade durch den Anspruch, nur Beauftragte der neuen Bundesländer hätten die Deutungshoheit, der Diskurs zu dieser Kunst unterbunden, wie die Ablehnung der Forschungsstelle und die Auseinandersetzung um die „Kunst in der Diktatur“ gezeigt hat. So haben sich die neuen Bundesländer ihrer Möglichkeiten im Umgang mit ihrer Kunst selbst beraubt.
Damals mag ein Problem darin bestanden haben, dass die neuen Länder das Gefühl hatten, vom "Westen" dominiert zu werden. Dass sie selbst hätten handeln können, war ihnen offenbar nicht in den Sinn gekommen. Niemand hatte den neuen Ländern untersagt, selbst Forschung und Aufklärung zu betreiben. Dem Gefühl, dominiert zu werden, stand bedauerlicherweise keinerlei eigene konstruktive Handlungsbereitschaft entgegen.
Eine Möglichkeit, wie die Forschung um die bildlichen Hinterlassenschaften und der Kunst der DDR hätte geführt werden können, zeigte paradigmatisch die Ausstellung „Auftrag: Kunst: Bildende Künstler in der DDR zwischen Ästhetik und Politik. 1949 –-1990“[8], die vom 27. Januar bis zum 18. April 1995 im Deutschen Historischen Museum gezeigt wurde (Berliner Morgenpost 10.1.95). In dieser Ausstellung waren auch viele Werke aus dem Bestand der Parteien und Massenorganisationen zu sehen. Diskutiert wurden hier nicht allein die Werke, vorgelegt wurden in gut sichtbaren Aktenordner auch Kopien der Akten aus den Archiven, die die Entstehungsbedingungen, die Kosten, aber auch die Diskussionen um die Werke dokumentierten. Mit dieser Ausstellung wurde sichtbar, welche Möglichkeiten die Forschungsstelle gehabt hätte, welche Diskussionen hätten geführt werden können. Der begleitend erschienene Katalog ist bis heute ein Standardwerk für jeden, der sich mit dieser Thematik beschäftigen möchte.
„Die wissenschaftliche Bearbeitung und Präsentation des Bestandes soll dazu dienen, eingefahrene Klischees der Selbst- und Außenwahrnehmung der DDR zugunsten einer kritisch differenzierten Urteilsbildung aufzulösen. Auf diese Weise kann zur Überwindung der kulturellen Folgen der Teilung der Deutschlands beigetragen werden.“[9]
Doch diese Art des wissenschaftlichen Umgangs mit den Beständen der Parteien und Massenorganisationen war 1995 offenbar nicht gewollt und wurde von den neuen Bundesländern nicht akzeptiert. Vielleicht war dies eine Folge der Auseinandersetzung um die Deutungshoheit, denn die in der Empfehlung geforderte vergleichende Perspektive hätte diese Hoheit in Frage gestellt.
Anke Jeckel war persönliche Referentin von Josef Dierdorf, dem verantwortlichen Direktor in der Treuhandanstalt für das Vermögen der Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR
Monika Flacke ist Sammlungsleiterin im Deutschen Historischen Museum
[1] Dörte Döhl, Barbara Naumann-Mihm, Wiebke Ratzeburg, Arnulf Siebeneicker, Katja Widmann,
[2] Ursula Löffler und Christa-Maria Mosch.
[3] Das Direktorat Sondervermögen hatte nicht die treuhänderische Verwaltung über die Werke der NVA, der Betriebe in der DDR oder der Ministerien inne. Diese unterstanden dem jeweiligen Rechtsnachfolgern.
[4] Eine Dokumentation der Presseberichte befindet in Stiftung Deutsches Historisches Museum, Hausarchiv/ Abt. ÖVA/ Pressearchiv 1994.
[5] Siehe Stiftung Deutsches Historisches Museum, Hausarchiv/ Abt. Ausstellungen/ Projektakten „Auftrag: Kunst“ – Tagung der Treuhandanstalt „Auf der Suche nach dem Verlorenen Staat“ 1994.
[6] Vgl. hierzu: Monika Flacke (Hrsg.) Auf der Suche nach dem verlorenen Staat. Die Kunst der Parteien und Massenorganisationen, Berlin, 1994
[7] Vgl. Beschluss der UKPV BU 578 in der 52. Sitzung am 12. September 1994, Bundesarchiv-Signatur B 441/3425
[8] Vgl. Monika Flacke (Hrsg.): Auftrag: Kunst. 1949 – 1990. Bildende Künstler in der DDR zwischen Ästhetik und Politik. Katalog zur Ausstellung des Deutschen Historischen Museums vom 27. Januar bis 14 April 1995.
[9] In: Empfehlung zur gemeinnützigen Verwendung des Kunstbestandes der Parteien und Massenorganisationen. Stiftung Deutsches Historisches Museum, Hausarchiv/ Abt. Ausstellungen/ Projektakten „Auftrag: Kunst“ – Tagung der Treuhandanstalt „Auf der Suche nach dem Verlorenen Staat“ 1994.
Zitierempfehlung: Anke Jenckel, Monika Flacke: Die Geschichte der Kunstgegenstände unter treuhänderischer Verwaltung. In: Kunst in der DDR, URL: <https://bildatlas-ddr-kunst.de/knowledge/1098>