Anke Paula Böttcher
Ruhelos durchstreift der Blick das Blatt. (Abb. 6) Dicht gewebte und stark bewegte Landschaft breitet die Karten eines obskuren Spiels vor uns aus, immer neue Perspektiven, neue Richtungen werden offeriert. Mitunter bleiben die Karten blank, unbeschrieben – dann weiten sich Räume in Unbekanntes, Unbenanntes, Offenes. Andernorts verdichten sich Zeichen zu wunderlichen Gebilden oder Wesen. Zeilenartige Ordnungen formieren sich zu Gebirgszügen mit geheimnisvollen Spuren, Pfaden, scharfen Einschnitten und Kanten. Kristalle. Bergkristalle.
Treten wir ein wenig näher und werden gewahr: alles ist geschrieben. Mikroschrift durchzieht das Blatt, ja konstituiert es. Manchmal gelingt es, etwas zu entziffern: z.B. „…die verknüpfung des gedankens den ich fasste mit… // Menschheitsgeschichte… // Veränderung… // unter schwelender glut… / des wassers in gesten untergehen… // bewegung des subjekts in organischer materie… / genau das verhältnis zwischen…“
Die gelesenen Informationen werden gespeichert, festen Willens, die Lesereise fortzusetzen. Diese jedoch wird durch eine plötzlich aufkommende Unleserlichkeit jäh unterbrochen. Der Blick stößt sich an schriftliche Ballungsräume, deren Bedeutungen man sich anders als über konventionelles Lesen erschließen muss: Seltsame Figurationen, weniger seltsam Ikonisches. Während wir versuchen, das nun Geschaute mit Gelesenem und bei alledem Empfundenem zu verknüpfen, bleibt der Blick ehrgeizig auf der Fährte der Schrift.
Wandert, um abermals zu rasten, sich hineinzuschauen in eine Figur oder hineinzulesen in ein Wort. Im Wechsel zwischen Konzentration und Expansion von Schrift (und Blick), zwischen Erlesen und Erschauen verdichtet sich das Netz von Andeutungen, Assoziationen, Suggestionen, Hinweisen, die uns der Autor unmittelbar oder mittelbar darbietet.
Mitunter tauchen Botschafter anderer Sprach- und Schriftsysteme auf, in diesem Falle u.a. die in hebräischer Schrift gezeichneten für Herz, Bogen oder Regenbogen sowie zu ihm gehörend.[i] Als der Rätsel Gipfel erscheint ein „blinder Fleck“(Bloch) im „Hohlraum“, besten Willens, aus dem Bild zu fallen, würde ihn eine Wortkette nicht binden ans/ins Blatt. Zögernd gibt das schwarze Loch den Blick wieder frei, um ihn auf einen Bogen am Horizont zu lenken… Wir drehen das Blatt und lesen: „…das zeichen… /…besiegelt hat… / …regenbogen das zeichen liebe… /…ich erinnere mich des wegs den ich… /…gehen wollte…“[ii]
Erneut und erstaunt durchstreifen wir forschend die Landschaft. An exponierter Stelle verfängt sich unser Blick. Diese längst gespürte, aber nicht ins Bewusstsein gelangte Beobachtung: ein waches Auges fixiert uns, ein durchdringender Augen-Blick lässt den unseren nicht mehr los. Wir versuchen auszuweichen. Es gelingt kaum. Irritiert wenden wir das Blatt. Ist des Auges Blick gebannt? Ist nun alles ganz anders? Nein. Rückwendiges wird auf einmal deutlich und wesentlich, ohne ehemals Vorderseitiges verloren zu geben. Das Auge aber schaut uns unvermindert zu. Nur von der anderen Seite. Wer oder was schaut uns da an? –
Die soeben versuchte Bildbetrachtungsbeschreibung galt einem von Carlfriedrich Claus in der ersten Hälfte des Jahres 1965 zweiseitig beschriebenen Transparentpapier, welches er folgendermaßen signierte: Embryo-Blick aus Gestein; Experiment auf die Archeus-Vulkanus-Kontaktfrage hin. Für Ernst Bloch in großer Verehrung und Dankbarkeit zum 80. Geburtstag. Carlfriedrich Claus.
Im für jede der Clausschen Arbeiten wichtigen Blatt-Titel wird das Motto oder – wie auch bei Blochs Schriften – der sog. philosophische Kerngedanke angekündigt. Den Titeln kommen sowohl bei der Genese des Blattes als auch bei der späteren Rezeption Impuls gebende, Handlung leitende Funktionen zu. Je mehr wir uns auf die Arbeit und ihre Ebenen einlassen und uns einlesen (und auch: nachlesen), umso mehr erfahren wir, worum es geht, worum es Claus geht.
Verbunden mit der Vielschichtigkeit solcher Blätter ist noch eine weitere (Meta-)Ebene der Schrift, jene der Kommentare und Reflexionen des Autors zum entstehenden bzw. entstandenen Blatt selbst, zu finden in Tagebüchern, Notizheften, Briefen.
So lesen wir z.B. im Tagebuch vom 30. April 1965: „Ich konnte die Willensintention des Archeus-Vulkanus-Blattes für Bloch eben noch durch eine Verstärkung, vom „Auge“, längs der „Nasen“-Frontlinie (das Wort: ‘wille’) potenzieren. Quasi aus Morgenlektüre Blochs, dem Resultat-Augenblick heraus.“[iii]
Im Dezember desselben Jahres kommt Claus nochmals auf die Arbeit zurück: „…in dem ‚Embryo-Blick’ funktionierte ich, vorbewusst, den Phallus um: in die Zunge, die willenstingiert, möglicherweise Kontakt aufnehmen kann: mit dem hypothetischen Natur-Subjekt. Hirnaktionen, Großhirnaktionen in der Zunge; mit ihr.“[iv]
Diese im Nachhinein oder Nebenher entstandenen Kommentare zum Blatt geben nicht nur Hintergrundinformationen zu Inhalt und Intentionen, sondern bezeugen, dass es der Autor ernst meint, dass es ihm um Bewusstseinsarbeit und nicht um ästhetische oder antiästhetische Wortspielerei zu tun war.
Claus bezieht sich in dieser Arbeit auf ein von Bloch übernommenes, auf Paracelsus zurückgehendes Konzept der Vermittlung der schöpferischen Prinzipien, der waltenden Lebenskräfte in Mikro- und Makrokosmos.[v] Für Blochs Philosophie und einem damit verbundenem utopischen Gesellschaftsentwurf wird eine kreative Versöhnung von ‚Menschenherz’ mit ‚Naturseele’ ebenso zentral wie für Claus.
Claus illustriert aber weder Bloch noch Paracelsus, sondern gibt seiner eigenen Überzeugung Ausdruck. In dem Versuch, mehr zu sein als eine Be-Schreibung, wird das Blatt zum Dokument eines gedanklichen Selbstexperiments. In der Vorbereitungsphase wie im Entstehungsprozess der Arbeit durchdringt Claus die Problematik mit seiner ganzen physischen, psychischen und intellektuellen Kraft.
Der 1930 in Annaberg im Erzgebirge[vi] geborene Claus erhielt bereits als Kind in einem humanistischen Elternhaus die Gabe wie den Mut zum inneren Widerstand[vii]. Nach 1945 wurde Claus zum unbequemen Verteidiger des Experimentes DDR. Repressionen und Unverständnis beantwortete er geduldig mit echter Gesprächsbereitschaft. Eine 1975 nahe gelegte Ausreise wies er empört zurück.[viii]
Charakteristisch für ihn waren von klein auf eine unbändige Neugier und ein nahezu besessener Wissensdurst. Erkenntnis galt ihm als Einsichtnahme in die Bedingungen, Prozesse und Möglichkeiten des Existierens. Das Selbststudium als theoretische und der Selbstversuch als praktische Aneignung von Wissen füllten sein kompromissloses Leben aus und bedingten einander. Theoretische Auseinandersetzungen mit dem eigenen Schaffen, aber auch mit den politischen und kulturellen Diskursen seiner Zeit sind dabei von der experimentellen Arbeit nicht zu trennen.
Wie sich der Mensch als Partikel in einem pulsierenden Makrokosmos – entgegen aller Entfremdung und Gefahr der Vernichtung und Selbstvernichtung – entfalten könne, war die zentrale Frage an Welt und Leben, die und der Claus sich stellte.
Er ist überzeugt, dass dem Menschen hierfür besondere, bislang nur begrenzt genutzte Fähigkeiten zur Verfügung stehen. Eine davon ist die kreative Vorstellungskraft, die der von Bloch als „Stratege der Konzentration im Mikrokosmos Mensch“ bezeichnete Paracelsus so beschreibt: „Die Imagination ist allein ein Mittel zur Vollendung des Willens. Alles Imaginieren im Menschen kommt aus dem Herzen, und dieses ist die Sonne im Mikrokosmos, und aus dem Mikrokosmos gehet die Imagination heraus in die große Welt. So ist die Imagination ein Samen, welcher materialisch wird.“[ix]
Das andere und unmittelbar mit ersterem zusammenhängende ‚Talent’ ist das (menschliche) Sprachvermögen. Als Vehikel des Existierens wird es – auch in seinen ungenutzten wie noch unerforschten Randgebieten – unhintergehbarer Ausgangs- bzw. Zielpunkt des Clausschen Schaffens. Die Paracelsischen Creata als „Buchstaben, in denen gelesen wird, wer der Mensch ist“[x], werden von Claus ebenso forschend durchdrungen wie die zweiundzwanzig Buchstaben des hebräischen Alphabets.[xi]
Das Eintauchen in die Kabbala, linguistische Studien oder auch die Beschäftigung mit schamanistischen Praktiken münden bei Claus in Selbstversuche mit Stimme und Hand(schrift). Dabei entstehen die graphischen Sprachblätter und akustischen Lautprozesse, in denen Klang- und Schrift-Zeichen gar der natürlichen Sprache entkommen, um bewusster wieder in sie einzukehren.[xii]
Beim Entstehen eines Sprachblattes zählt die Konzentration auf einen gelesenen bzw. zu durchdenkenden Stoff zu einem der wesentlichen „starting points“ (Claus).
Einer der wichtigsten Dialogpartner hierbei war für Claus Ernst Bloch.[xiii]
Diesem unmittelbaren Einfluss des Gelesenen auf die Genese des Blattes, in diesem Falle des Embryo-Blicks, sind wir schon im Tagebucheintrag vom 30. April 1965 begegnet. Als Claus den Embryo-Blick – er entstand ja als Geburtstagsgeschenk für Bloch – auf die Reise nach Tübingen sandte, kommt er im beiliegenden Brief vom 3. Juli 1965 auf den Dialog mit dem Lesestoff ganz konkret zu sprechen: „Das Blatt ist, der Intention nach, ein vorversuchendes Experiment, das sich auf Ihren Richtungsakt ‚Wille und Natur, die technischen Utopien’, besonders den Abschnitt ‚Elektron des menschlichen Subjekts, der Willenstechnik’ und in ihm immer wieder besonders auf die Seiten 256ff hinbewegt. Diese Archeus-Vulkanus-Seiten sehe ich in engem Zusammenhang mit dem 9., 20. und 54. Kapitel Ihres Werks, und mit dem, was in Ihren Spuren an anorganischen Motiven und Fragen auftaucht, z.B. S. 235-243.“[xiv]
Claus war wohl nicht viel älter als zehn Jahre, als er zum ersten Mal Bloch las. Daraus wurde ab 1950 eine lebenslange, kontinuierliche Lektüre und geistige Verbindung. Die theoretischen Texte und Briefe, besonders aber auch die bildpoetischen Werke des Annabergers sind von kreativer Analyse und Reflexion der Blochschen Philosophie geprägt.
Erst 1960 – Bloch war zu dieser Zeit schon zwangsemeritiert und isoliert – nahm Claus brieflichen Kontakt zu ihm auf. In diesem ersten Brief an Bloch beschreibt Claus seine besondere Art der Bloch-Lektüre und deren Bedeutung: „Las ich in den vergangenen Jahren Ihr ‚Prinzip Hoffnung’ nur –ich besitze die Bände seit ihrem Erscheinen– und begeisterte mich an diesen unendlich kostbaren, märchenhaften Einschlüssen, Ausblicken, Hinaushebungen in den transparenten Glanz zwischen Nacht und Morgen, dieser schier unerschöpflichen, jedes mal neuen Schatzstätte Hoffnung (die gleichermassen die geschliffenen Waffen gegen die von hinten anrückenden Nachtgeister liefert), so habe ich jetzt mit seinem Verzehr, mit seiner Einverleibung begonnen ; also endlich den zweiten Alchymisten, den in Herz und Hirn, in Aktion gesetzt.“[xv]
Zu einer persönlichen Begegnung zwischen beiden kam es nie, aber die intensive Beziehung riss nicht ab. Das wohl wichtigste Bindeglied war die nicht nachlassende Faszination und Inspiration, welche die erschienenen und neu erscheinenden Blochschen Werke auf Claus ausübten. Auch in schweren Zeiten von Trauer und Depression gaben sie Claus Zuversicht und erinnerten ihn, dass die Tagseite zur Nacht nur rückwendig verborgen und die Wendung im eigenen Geschick liegt.
Blochs Frau Karola[xvi] wurde für Claus zur wichtigen Freundin und Bezugsperson, welche die Korrespondenz zeit ihres Lebens – auch im Namen ihres Mannes – aufrechterhielt.
Im August 1973 erwähnt Claus in einem Brief an Bloch eine Meldung aus der Lokalzeitung[xvii] über die Reaktion von Pflanzen – in diesem Fall Geranien – auf Veränderungen in den menschlichen Affekten. Er schreibt weiter: „Die Tendenz erscheint mir in jedem Falle interessant genug. Sie nimmt Richtung auf Ihr Werk, speziell auf Ihren großen naturwissenschaftlichen Vorstoß in Noch-Nicht-Bewusstes, Noch-Nicht-Gewordenes. Ich meine: Ihre naturphilosophischen Gedankengänge und Prozesskombinate antizipieren völlig neue naturwissenschaftliche Entdeckungen.“[xviii]
In Zusammenhang mit seiner Ontologie des Noch-Nicht entwickelt und verteidigt Bloch einen dynamischen Materiebegriff[xix] gegen eine mechanische Betrachtung und Ausbeutung der „Materie“ als Material. Eine vom menschlichen Individiuum/Kollektiv beanspruchte subjekthafte Qualität spricht Bloch ebenso der Natur und gar den kosmischen Bereichen zu.[xx]
„Ist im Innern ein Universum auch, gar das einzige, worin der Mensch zu Hause sein könnte, so ist im Universum auch ein Inneres…“ heißt es in Das Prinzip Hoffnung.[xxi] Überall in Mikrokosmos, Makrokosmos aber auch im „mesokosmischen“ (Bloch) Terrain des Menschlichen[xxii] finden sich verborgene oder verbannte Zeichen, die einander ent-sprechen wie miteinander sprechen.[xxiii]
Sich mit der Naturphilosophie Blochs identifizierend erkennt Claus in Sprache in ihrem weiten Sinne das Medium zur Markierung und Vermittlung solcher Signaturen. (Abb. 7) Hier setzen seine experimentellen Kontaktversuche zur Natur ein.[xxiv] Diese ist für den Annaberger nicht wohlgefällig konsumierbare Landschaft, sondern Gesprächspartnerin auf einer Augenhöhe. Als Metapher solch Dialogs wird sowohl in Blochs als auch in Claus’ Werken immer wieder das Archeus-Vulkanus-Kontaktproblem behandelt, variiert, erweitert. (vgl. auch Abb. 52) In den schriftlichen und klanglichen Experimenten von Claus äußert sich eine innere geistige Kraft, die als Signale, Zeichen nach Sympathie und Konkordanz mit den ‚Büchern der Natur’ suchen. Mit Beispielen solcher Kontaktherstellung nahm die Ausstellung in Raum 1 ihren Anfang. (Abb. 1 und 2)
Inmitten der Claus wie auch Bloch umgebenden realsozialistischen, später ‚realkapitalistischen’ Wirklichkeit halten beide vehement an ihrem Natur- und Geschichtsbegriff und einer damit verbundenen kosmologisch-kommunistischen Zukunftsvision fest.[xxv]
Bloch selbst verweist immer wieder auf das „Realproblem: Gesellschaft wie Natur in die Angeln zu heben.“[xxvi] Zur ‘Aufhebung jeglicher Entfremdung’ gehört die Verflechtung des „In-Möglichkeit-Seins“[xxvii] der gesamten Materie mit jenem „In-Möglichkeit-Sein“ der Geschichte. Ein anthropologisch begründeter Geschichtsprozeß ist einem Weltprozeß anhängig und nicht umgekehrt. Nur unter bestimmten Bedingungen verteidigt der Philosoph menschliche Machbarkeit von Geschichte, wenn er schreibt: „Vom ersten Subjekt, als dem der menschlichen Macht, kann nicht einflußreich genug gedacht werden; vom zweiten Subjekt, als der Wurzel natura naturans, ja supernaturans, nicht tief und vermittelt genug.“[xxviii] Mit solcher Haltung wiesen Bloch und Claus einen Weg, der vulgärmarxistische Praxis wie alle anthropozentrischen Gesellschaftsmodelle überstieg bzw. unterwandert. Blochs „Naturanschluss“ und „Naturallianz“ auch im Sinne einer – nicht ohne Warnung vorgetragenen – Technik-Utopie und einer Ökologie werden hier zu Schlüsselwörtern für die Forderung nach einer Feinabstimmung des Verhältnisses Mensch-Natur. Die Brisanz solch Postulats ist in unserer Gegenwart alles andere als geringer geworden.[xxix]
Claus weiß, dass „das im gesellschaftlichen Fortschritt unerledigt Liegengebliebene, ist das im Bekannten unbekannt gewordene, oder noch nie bekannt gewesene, ist die terra incognita im Menschen und in der Natur, von der er Teil ist.“[xxx] Vor einer „Humanisierung der Natur“[xxxi] ginge es um eine Humanisierung des Menschen im Sinne einer Entwicklung, die auch das Innere bedenkt. Das fordert Bloch schon radikal im Geist der Utopie.[xxxii] Bloch und Claus appellieren hierbei an eine Verfeinerung der geistig-emotionalen Fähigkeiten im Bündnis mit kreativer Phantasie und Achtsamkeit. (vgl. Abb. 88)
Gangbare Wege reflektiert bzw. antizipiert Claus explizit in zwei großen Werkzyklen: Mit dem Geschichtsphilosophischen Kombinat[xxxiii] (Abb. 25-51) und der Aurora-Mappe[xxxiv] (Abb. 8 sowie Abb. 69, 89, 91), welche in einer konzentrischen Kompositionsanlage[xxxv] im zweiten Raum der Ausstellung zu sehen war (Abb. 1 und 3), schlägt Claus die Bücher der Geschichte auf und (be)schreibt Vermittlungsversuche zwischen dem Individuellen, Kollektiven und Universalen. Dieser Atlas historischer und künftiger „Versuchsgebiete“ (Claus) möchte die U-Topoi Kommunikation und Kommunismus abermals vermessen und ihnen einen möglichen Raum öffnen.
Nahe und ferne Ziele rufen nach Ausflucht aus geographischer und vor allem geistiger Enge. Dies gelang Claus im Selbstgespräch und im Kreis zweier besonderer Gemeinschaften… Die eine ist das die nächste und weiteste Welt umspannende Netz an Freunden und Verbündeten, mit denen Claus in einem regen persönlichen oder brieflichen Austausch stand.[xxxvi]
Fernziele rekurrieren bei Bloch und Claus nicht nur auf vermittelte Real-Chiffern der Natur sondern auch auf Gestaltungen und Gestalten in der menschlichen Geschichte. (Abb. 9) Historische Zeit wird visionär von einem revolutionären Kollektiv durchwandert, das Claus aktiv in seine Dialoge einschaltet. Figuren von Paracelsus, Böhme, Spinoza bis zu Persönlichkeiten aus jüngerer Kultur- und Geistesgeschichte wie Brecht oder Benjamin werden Dialogpartner.[xxxvii] Politische Personen wie Angela Davis oder namenlose Guerilleros werden ebenso gewürdigt wie besondere Wissenschaftler.[xxxviii] Aber auch literarische Gestalten – Till Eulenspiegel oder die Marionette z.B. – übernehmen auf- bzw. widerständige Rollen. Indem Claus ihnen Sprachblätter widmet, befreit er sie aus statischer Vergangenheit, beteiligt sie an einem aktuellen Diskurs und reaktiviert nach eigener Aussage ihre subjektiven Energien, die über alle historischen Niederlagen hindurch und hinweg erhalten bleiben.[xxxix]
Blochs „Leitfiguren und Leittafeln der Grenzüberschreitung“ (Abb. 10) entsprechen bzw. korrespondieren mit den Clausschen ‚Auszugsgestalten’ und ‚Auszugsstoffen’, denen im dritten Raum der Ausstellung ohne Anspruch auf Vollständigkeit ein Kabinett eingerichtet wurde. (vgl. Abb. 1 und 4)
Solch Vielfalt an „Stoffen und Dingfiguren“[xl], deren Ungleichzeitigkeit und Unabgegoltenheit ermöglichen die „Einheit von Mensch und Ferne“. Fragmente eines noch so abwegig oder abgelegen Erscheinenden werden bei Bloch zu kraftvollen, relevanten Metaphern montiert.[xli] Die Sinnbilder bleiben dabei dynamisch, werden selbst zum Fragment, um sich korrigieren, kommentieren und kombinieren zu lassen. Oftmals schwingt in ihnen unbekannter, noch zu enträtselnder Sinn als ein ‚Mehr an Bedeutung’ mit, sich Künftigem zuwendend. Mit solch offenem Werk-Charakter verwirklicht Bloch nicht nur seinen dynamischen ‚Wirklichkeitsbegriff’, sondern dehnt auch den Wirkungsradius der eigenen Arbeit.
Besonders die Allegorese wird bei Bloch zum geeigneten künstlerischen „Auszugs-Vehikel“, das – jenseits von Sprachspiel und Simulation – Prozesshaftigkeit und Verbindlichkeit zugleich gewährt.[xlii] Seinen Anspruch an die Künste, als grenzüberschreitendes, vor-scheinendes Scharnier zwischen Existenz und Existenz, zwischen Existenz und Utopie zu fungieren, erfüllt Bloch mit seiner poetischen Philosophie selbst, ohne sich vielleicht dessen bewusst gewesen zu sein.[xliii] Noch das systematischste seiner Werke könnte man als expressionistische oder gar experimentelle Literatur bezeichnen.
Das Werk von Claus nahm in den 1950er Jahren mit Naturlyrik seinen Anfang. Auch die daraus entwickelten Sprachblätter und Lautprozesse bezeichnete Claus selbst immer als Randgebiete von Literatur.[xliv]
Viele Blätter werden von ihm als Textform[xlv] – auch als solche der Allegorie[xlvi] – angezeigt. (Abb. 11) Die aus assoziativer Montage erwachsenden Möglichkeiten zu immer neuen quasi-allegorischen Kombinationen sind sowohl für Blochs Gesamtoeuvre als auch in besonderem Maße für das Claussche Werk nachweisbar und charakteristisch.
Text, auch Blochscher Text, organisiert sich in den Sprachblättern neu. Zitate, für die jeweilige Arbeit zentrale Denkstoffe und sich entfaltende, zur Artikulation gelangende Gedankengänge materialisieren sich in assoziativem Zusammenklang zu etwas neu Erfahrenem, Erfahrbarem. Wie eingangs am Beispiel des Embryo-Blicks beschrieben, wird die Textinformationsebene durch eine strukturelle Dimension erweitert, ohne dieser aber allein das Feld zu überlassen, denn die Sprachblätter sollen durchaus auch gelesen werden.[xlvii]
So versammeln und vereinigen sich Denotationen und Konnotationen zu einer von Bloch beschworenen „Hochzeit aus Bruchstücken als Kombinat des Fernsten mit dem Nächsten “[xlviii].
Eine Polyphonie von Stimmen versammelt sich im Werk von Claus und weist über eigene Zeiten und Räume weit hinaus. Als immer wieder überarbeitetes Einzelblatt[xlix] oder als Blattschichtungen und seit 1961 als eine Vierheit von Vorderseite, Rückseite und zwei Durchsichten[l] bleiben die Arbeiten in steter Bewegung. Wie es kein fertiges Blatt gibt, gibt es kein erstes oder letztes: alles Entstehende verweist wieder auf andere/s: Einzelblätter formieren sich zu Kombinaten[li], die wiederum miteinander korrespondieren und unabgeschlossen sind. Es breitet sich eine schier unendliche Menge an gültigen Interpretationsmöglichkeiten aus, ohne dass eine endgültig wäre.
Claus geht es bei dem textorientierten Arbeiten nicht um Illustrieren, Rezitieren oder schlichtes Kommentieren, sondern um eine Übertragung[lii] in ein vom Betrachter wiederholbares Erlebnis komplexerer Art, das nicht mehr nur rein sprachlich fassbar ist.
Der Leser wird dabei selbst wieder zum Autor der eigenen Erfahrung, die er am Blatt macht; das Werk wird erneut Rohmaterial. Nicht nur die strukturelle, auch die ideelle Mehrwertigkeit der Blätter erfordern vom Leser eine besondere Rezeptionsleistung, die Bereitschaft sich einzulassen und einzulesen, den Mut zum Selbstexperiment.[liii]
Mit einem Tagebuch-Eintrag aus dem Jahre 1965, programmatisch für sein ganzes Lebenswerk, geht Claus mit und für Bloch in die Front: „Meine experimentelle Existenz ist Existenz, die die Kategorie Möglichkeit erprobt. Ich beweise, dass man auch anders leben und vor allem produktiv sein kann…“[liv]
Was Bloch den Clausschen Blättern an Verständnis entgegenbringen konnte, bleibt eine offene Frage.[lv] In welchem Maße Claus und sein Werk das vom Philosophen immer wieder beschriebene ‚künstlerische Vor-Scheinen’ verkörpern, ließe sich mit einem Zitat aus dem Experimentum Mundi erahnen.
Bloch schreibt dort: „Der allegorische Vor-Schein in der Kunst ist als solcher vieldeutig, beherrsche man diese Vieldeutigkeit als unblutigen Ort zur Durchführung und Anschauung offener Experimente, hypothetischer Modelle, fragmentarischer Lösungen.“[lvi]
Bloch und Claus waren sich einig: das Experimentum Mundi beginnt in jedem selbst und – hier schlagen wir den Bogen zum eigensinnigen Universum – ist mit dem kollektiven Experiment Geschichte weder erfüllt noch abgeschlossen. Die für uns jedoch entscheidenden blinden Flecke und schwarzen Löcher liegen nicht in weiter Ferne. (Abb. 12)
„…eben beginnt der 8. Juli 1974. Ich sitze an dem runden Tisch, die Stille ist fast tastbar. Etwas scheint sich zu konzentrieren, draußen und im Körper. In dem das Neonlicht der Straßenbeleuchtung reflektierenden dichten Blattwerk des Ahorns schräg gegenüber und in der Hand, der Hirnhand. Noch-Nicht-Gewordenes in der Realchiffre ‚Baum’ und in der Realchiffre ‚Hand’? Mir wurden durch Ihr Materialismuswerk auch Wahrnehmungen, die ich immer wieder in meiner experimentellen Arbeit mache, die mir aber vorher nur vage bewusst wurden, bewusst. Noch-Nicht-Gewordenes des Objekts (der Gesellschaft und der Natur, des materiellen Seins) meint auch: noch nicht Gewordenes des menschlichen Körpers, des ‚eigenen’ papillarlinigen Leibs (au fond Noch-Nicht-Leibs), dieses unerhörten Stücks materiellen und gesellschaftlichen Seins, das sich selbst reflektiert, zu Bewusstsein kommt, in das Sein einzugreifen vermag. ‚Materialistisch steht genau die letzthinnige Allianz zwischen noch nicht Bewusstem im Bewusstsein und noch nicht Gewordenem im Sein als Tendenz-Sein an.’ Ich versuche, meine Erfahrungen mit dem Körper, dem ‚eigenen’ Leib, seinem noch nicht Gewordenem, zu durchdringen. ‚Ideelles als das im Menschenkopf umgesetzte Materielle’, noch nicht Gewordenes im materiellen Sein des Körpers, – manifestiert es sich in neuen Aktions- und Wahrnehmungssystemen, die aber im Bewusstsein noch nicht bewusst sind, verzögert im Menschenkopf umgesetzt werden?
Bestehen Zeit-Differenzen zwischen noch nicht Gewordenem in organischer Materie, die im Leib neue Organe gebiert (die selbst wieder Auszugsorgane werden) – und ihrem Bewusstwerden im Bewusstsein? Und andererseits zwischen der mächtigen überholenden Kraft des antizipierenden Bewusstseins und seinen erhellend-verändernden Eingriffen in den Körper, in die materielle Basis? Beides schlägt wohl vielfältig-kompliziert, in vielschichtiger Dialektik, doch auch vielfältig gestört ineinander um, treibt weiter. In möglicher künftiger ‚Wahrmachung’ würden die Zeit-Differenzen abgebaut, der Abstand verringert, – die Allianz zwischen noch nicht Bewusstem im Bewusstsein und noch nicht Gewordenem im Sein als Tendenz-Sein könnte voll konkretisiert werden, gesellschaftlich-materiell und damit auch hinsichtlich der ‚Mitproduktivität eines möglichen Natursubjekts’.
Ich frage mich nach dem Entstehen eines Sprachblattes oft: wie groß ist hier der Anteil von noch nicht Gewordenem im Körper, das sich ohne gleichzeitige Umsetzung, also sozusagen das Bewusstsein überholend, durch die Bewegungen der Hand manifestiert, wie groß der des noch nicht Bewussten im Bewusstsein, speziell im Sprach-Bewusstsein, wie groß der des nicht mehr Bewussten, und tauben Gerölls.“[lvii]
Das Blochsche „Dunkel des Augenblicks“ ist für Claus nicht Furcht erregender, unbetretbarer Ort, sondern Forschungslabor der inneren Vorgänge. Erinnern wir uns an den aus Stein erwachenden Blick: von der anderen Seite betrachtet, wird er zum Sinnbild der Auflösung eigener innerer Verhärtungen, Versteinerungen.[lviii] Von Clausens unermüdlicher Arbeit auf Psychischen Feldern[lix] berichtet uns der vierte und letzte Raum der Ausstellung (vgl. Abb. 1 und 5).
Für seine Expeditionen ins Subliminale und seine konzentrierten Selbstversuche isolierte sich Claus mitunter wochenlang. Die dabei entstehenden, minutiösen Aufzeichnungen, Niederschriften solcher Selbstbeobachtung werden zu Protokollen verborgener, kaum beschreibbarer und noch weniger rezipierbarer Prozesse. In der Tat erschließt Claus sich neue Bewusstseinsbereiche, erarbeitet sich Möglichkeiten, anders als destruktiv mit seinem Affekthaushalt umzugehen. Er entwickelt eine von erhöhter Sensibilität und dem Einsatz erworbener Einsichten und Kenntnisse nicht zu trennende Fähigkeit, noch gegen dunkelste Bereiche mit Bewusstwerdung vorzugehen, noch im ausweglosesten Zustand die Wendung zum „positiven Staunen“ (Bloch) zu realisieren.[lx]
Im September 1986 schreibt Claus in einem Brief an Karola Bloch: „Es ist viel Dunkel in uns, in der Welt, Bleiernes, Ängste. Aber doch auch dieses unbegründbare Aufleuchten, Freude. Was Ernst Bloch als ‚Leichtheit in der Tiefe, Freudigkeit des Lichtwesens’ beschreibt. Eine leichte Bewegung in der Sonne Microcosmi, im Sonnengeflecht ein Strömen.“[lxi]
Die geschichtsoptimistischen Töne werden bei Claus nach ‘89 gleichermaßen still wie bei Bloch nach ’68. Ratlos in Blochs Kategorien des Herausbringens[lxii] blätternd und nicht minder ratlos vor der Hermetik einer Clausschen Mikroschrift stehend, fragen wir, was oder wohin uns denn ein Aufbruch, eine Grenzüberschreitung bringen könnte. Mit dem Fortgang der Geschichte schwinden offensichtlich weder Entfremdungserscheinungen noch die Gefahr eines „physischen Vorbei“ (Bloch). Auch lassen sich mit zunehmender Qualifizierung unserer Beschreibungsmöglichkeiten die ‚Lücken der Beschreibbarkeit’ offenbar nicht schließen. Im Schutz des dunkel bleibenden Augenblicks träumt der Kommunismus in seiner ewigen Vorläufigkeit eines Noch-Nicht den Schlaf der Gerechten.
Bloch und Claus Verständnis entgegenzubringen hieße, auch Teleologie[lxiii] und Transzendenz, ohne die sie beide nicht auskommen, zu respektieren. Es mag vermessen klingen, aber auf das Teleologische würden sie vielleicht noch am ehesten verzichten können. Denn bleiben nicht gerade jene Grenzüberschreitungen, die für Bloch und Claus essentiell sind, quasi mystische Erfahrungen?[lxiv] Erfahrungen, auf die wir aber weder verzichten wollen noch können, über die jedoch Verständigung, Mit-Teilung in genormten Kommunikationsstrukturen kaum möglich scheint.
Den beiden „experimentellen Literaten und Kommunisten“[lxv] mag es nicht um die gewaltsame Determination eines Unbeschreibbaren zu tun gewesen sein. Eher darum, kraft einer Pluralität und Transparenz von Zeichen und Signalen sich selbst und andere durchlässig, offen zu machen. Denkend, schreibend, überschreitend versuchten sie, Spuren zu verfolgen und selbst solche zu hinterlassen, Pfade in viele Kammern des Welthauses zu schlagen und so Weltvertrauen möglich zu machen. Dem Befremdlichen eine Heimat zu geben und darin seine zu finden. Das melos als die unfass- wie unverzichtbare Rückseite eines logos kenntlich zu machen…
Also wäre es nicht doch die Erfahrung wert, die Schlange ‚am Eingang’ (vgl. Umschlagabbildung) einmal von der anderen Seite zu betrachten, so wie Bloch und Claus es uns vorschlagen?[lxvi]
Gefundene Antworten sind – gewendet, durchschaut – neue Fragen. Alte Rätsel.
Claus und Bloch bewahren das Rätsel, indem sie es in die Welt tragen. Weitersagen.
Sie sagen es weiter, ohne es zu verraten.
Was fangen wir mit dem Rätsel an? Wie überhaupt könnte solch ein wir beginnen?[lxvii]
[i] Die Zeichen befinden sich unterhalb des im Text folgend erwähnten ‚Auges’. Ich danke Giulio Busi für die freundliche Mithilfe bei Übersetzung und Interpretation.
[ii] Eine mögliche Interpretation wäre hier der Verweis auf den Regenbogen als alttestamentarisches Zeichen für den Bund zwischen Gott und Mensch, als Sinnbild der Liebe. „Meinen Bogen setze ich in die Wolken, und er sei das Zeichen des Bundes zwischen mir und der Erde. Und es wird geschehen, wenn ich Wolken über die Erde aufwölke, und der Bogen in den Wolken erscheint, dann werde ich an meinen Bund denken, der zwischen mir und euch und jedem lebenden Wesen unter allem Fleisch <besteht>; und nie mehr soll das Wasser zu einer Flut werden, alles Fleisch zu vernichten. Wenn der Bogen in den Wolken steht, werde ich ihn ansehen, um an den ewigen Bund zu denken zwischen Gott und jedem lebenden Wesen unter allem Fleisch, das auf Erden ist.“ (Gen. 9, 13-16, Übersetzung: Elberfelder Bibel) Nahe liegend erscheint es, dass diese Metaphorik hier eine Versöhnung zwischen quasi-demiurgischer Naturgewalt und Mensch konnotiert.
[iii] Carlfriedrich Claus, Tagebuch, 30.04.1965, Kunstsammlungen Chemnitz, Stiftung Carlfriedrich Claus-Archiv (KSCh.St.C.C.-Arch.)
[iv] Claus, Tagebuch, 27.12.1965, KSCh.St.C.C.-Arch.
[v] Vgl. auch Ferdinand Damaschun: Carlfriedrich Claus und die Frage: Haben Steine ein Bewusstsein?, in Konjunktionen 2011, S. 45-49 sowie Egon Krannich: Paracelsus und die Homöopathie - von mittelalterlicher Heilkunde und Signaturenlehre als einer Quelle Hahnemanns, ebd., S. 50-60.
[vi] Von der engen und kreativen Verbindung zur ihn konkret umgebenden Natur berichtet Claus: „Den ersten Sprechprozessen gingen viele Vorversuche u.a. in ‚freier Natur’, im Wald, zwischen Felsen, unter verschiedenen klimatischen Bedingungen (Regen, Sturm, Nebel, Tag, Nacht) vorher. Konkret: Ich bewegte mich oder stand allein in entlegenen ‚Steindistrikten’; nah Überwindung – oder noch besser: Vergessen – der sich anfänglich immer wieder aufbauenden ‚Hemmschwelle’ entstand durch solches unterschwellig gesteuertes a-semantisches Sprechen, mit rapiden Beschleunigungen, Stauungen, Schreien manchmal jäh totaler Naturkontakt, etwas wie nicht mehr und noch nicht bewusste Rückkopplung.“ (Claus an Klaus Ramm, zitiert nach: Städtische Kunstsammlungen Karl-Marx-Stadt/Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte (Hg.): Carlfriedrich Claus. Erwachen am Augenblick. Sprachblätter, mit den theoretischen Texten von Carlfriedrich Claus und einem kommentierten Werkverzeichnis, bearbeitet von Klaus Werner, Münster 1990, S. 56).
Ein Bild davon, in welchem Maße Claus von seinem Heimatort Annaberg und dessen Natur im „Erzgebiet, Basaltrestreich“ (Carlfriedrich Claus an Ernst Bloch, Juli 1960, KSCh.St.C.C.-Arch.) möglicherweise geprägt war, vermittelt auch Ferdinand Damaschun zu Beginn seines Beitrages, vgl. Damaschun, in: Konjunktionen 2011, S. 45.
[vii] Kommentarlos sei die Tatsache erwähnt, dass Claus sich Anfang der 1940er Jahre im Selbststudium das hebräische und kyrillische Alphabet aneignete.
[viii] Vgl. Barbara Barsch: „...zu verwandeln suchen: durch andere, neue Wahr-Gebung der Wahr-Nehmung...“ – Zu Carlfriedrich Claus und Klaus Werner, in Konjunktionen 2011, S. 26-31.
[ix] Paracelsus: Mikrokosmos und Makrokosmos. Okkulte Schriften, München 1989, S. 66.
[x] Ebd., S. 67.
[xi] Zur wichtigen Rolle, welche das hebräische Alphabet und die jüdische Mystik für Claus spielte, siehe Giulio Busi: Carlfriedrich Claus und die Buchstaben des Unaussprechlichen, in Konjunktionen 2011, S. 61-66
[xii] Zu einer Analyse Clausscher Strategien aus sprachphilosophischer Perspektive vgl. Hans Julius Schneider: Zur sprachlichen Kreativität, in Konjunktionen 2011, S. 67-75 und vgl. auch Anm. 6.
[xiii] Zum Beziehungsgeflecht Carlfriedrich Claus – (Karola und) Ernst Bloch siehe besonders: Thilo Götze Regenbogen: Denklandschaften. Erster Wegweiser zu Korrespondenz und Werkzusammenhang von Karola und Ernst Bloch mit Carlfriedrich Claus, in: Klaus Kufeld/Karlheinz Weigand (Hg.): Bloch-Almanach 24/2005, Mössingen-Talheim 2005 und Anm. 17. Ferner siehe Burghard Schmidt: Auszugsfiguralität: künstlerisch und theoretisch, in: Kunstsammlungen Chemnitz (Hg.): Schrift. Zeichen. Geste. Carlfriedrich Claus im Kontext von Klee bis Pollock, Chemnitz 2005, S. 90-93; sowie Monika Schmitz-Evans: „Utopisch aufgeschlagene Landschaft“. Romantische Weltbuchoptik, Ernst Blochs Chiffernkonzept und Carlfriedrich Claus’ graphische Denklandschaften, in: Karlheinz Weigand (Hg.): Bloch-Almanach 27/2008, Mössingen-Talheim 2008, S. 153-176.
[xiv] Claus brieflich an Ernst Bloch, 03.07.1965, KSCh.St.C.C.-Arch. Die Textangaben beziehen sich auf Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung, Band 2, Berlin 1955 und Ernst Bloch: Spuren, Frankfurt am Main 1959.
[xv] Entwurf des ersten Briefes an Ernst Bloch (Variante II), 1960, Tinte/Bleistift auf Papier, 29,7 x 21 cm, 4 Seiten, KSCh.St.C.C.-Arch.
[xvi] Siehe Thilo Götze Regenbogen: "Bewegt-bewegend" – Carlfriedrich Claus und Ernst & Karola Bloch: Korrespondenzen 1960-1985, in: Irene Scherer/Welf Schroeter (Hg.): Karola Bloch. Architektin. Sozialistin. Freundin. Eine Neuentdeckung des Wirkens der Bauhaus-Schülerin, Mössingen-Talheim 2010, S. 243-306 sowie Karola Bloch: "Ich leide sehr unter der Einsamkeit". Aus drei Briefen an Carlfriedrich Claus nach dem Tode Ernst Blochs; "... aber primär bin ich, nicht er" Ein Brief an Carlfriedrich Claus; Verbindung von Grafik und Philosophie. Briefe an Carlfriedrich Claus, ebd., S. 307-318.
[xvii] Freie Presse, 24.08.1973.
[xviii] Claus brieflich an Ernst Bloch, 27./28.08.1973, KSCh.St.C.C.-Arch.
[xix] Von Aristoteles’ dynamei on ausgehend einen Bogen über die arabischen Aristoteliker hin zu Brunoschem Universum, Paracelsischem Vulcanus, Böhmeschen Quellgeistern sowie zur Weltseele des frühen Schelling schlagend, um ‚schlussendlich’ bei Marx zu landen, entwickelt Bloch auf originelle Weise eine Aristotelische Linke. Vgl. den Aufsatz Avicenna und die Aristotelische Linke in Ernst Bloch: Das Materialismusproblem, seine Geschichte und Substanz (GA 7), Frankfurt/Main 1972 als Anhang integriert, jedoch liegt er auch als Einzelpublikation vor. (Erstveröffentlichung des Manuskripts in: Sinn und Form, Berlin 1951, erste Buchausgabe: Avicenna und die Aristotelische Linke, Berlin 1952; unterschiedliche Quellen geben unterschiedliche Erscheinungsdaten an – so erwähnt Claus, den Avicenna-Aufsatz schon 1949 gelesen zu haben: vgl. Carlfriedrich Claus im Gespräch mit Gerhard Wolf, in: Gerhard Wolf (Hg.): Carlfriedrich Claus. Zwischen dem Einst und dem Einst, Berlin 1993, S. 121. Das Traktat endet mit dem für unsere Thematik programmatischen Abschnitt Kunst, die Stoff-Form entbindend.
[xx] Siehe Ferdinand Damaschun, in Konjunktionen 2011, S. 48.
[xxi] Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung (GA 5), Frankfurt am Main 1973, S. 1580.
[xxii] Ernst Bloch fügt der Paracelsischen Konzeption, die zwischen (menschlichem) Mikrokosmos und makrokosmischer Natur/Welt unterscheidet, das „mesokosmische“ Terrain des Menschlichen noch hinzu. Da Claus auch mit aktuellen naturwissenschaftlichen Forschungen – beispielsweise zur Neurophysiologie oder zur Informationstheorie – arbeitete, könnte ihm das entgegengekommen sein.
[xxiii] Zu Paracelsus, dem für Bloch und Claus so wichtigen Vertreter einer solchen Signaturenlehre, und dessen Einfluss siehe Egon Krannich, in Konjunktionen 2011, S. 50-58.
[xxiv] In diesem Zusammenhang rekurriert Claus auch auf „die Versuche der magischen und noch mythischen Bewußtseinsphase, mit menschlicher Sprache, magisch sinngeladener Lautung, oder Schriftchiffer, verwandelnd in Nicht-Menschliches, in die beseelt empfundene anorganische und organische Natur einzugreifen. Sprache ist hier zauberkräftige Materie, Kontaktstoff, bis zu Stein, Feuer, Gestirn, Wasser hin; diese reagierten wie im Traum auf das wie in starken Traum intonierte passende Wort.“ (Erwachen am Augenblick 1990, S. 103.) Vgl. auch Anm. 6.
[xxv] Blochs Geschichtsphilosophie folgend, sieht und formuliert Claus das „Fernziel […] ‚Kommunismus’ […] als ‚starting point’ der eigentlichen Universalgeschichte der Menschheit“ (Wolf 1993, S. 80) und nimmt Blochs elastische, dynamische Zeitstruktur auf: Bloch legt die Genesis in das Ende und lässt beides zusammen als Welträtsel stehen. Der Verlauf von Geschichte gleicht eher dem Pulsieren um einen Kern denn einem linearen Ablauf. Vgl. hierzu z.B. Bloch 1973, S. 1628; Ernst Bloch: Tübinger Einleitung in die Philosophie (GA 13), Frankfurt am Main 1970, S. 275 oder Ernst Bloch: Experimentum Mundi. Frage, Kategorien des Herausbringens, Praxis (GA 15), Frankfurt am Main 1975, S. 230. In einem Brief an Bloch gibt Claus einen Einblick in seine eigene Vorstellung von Zeit, vgl. Carlfriedrich Claus brieflich an Ernst Bloch, 11.09.1966, KSCh.St.C.C.-Arch.
[xxvi] Bloch 1973, S. 287.
[xxvii] Dieses In-Möglichkeit-Sein bezieht sich auf das dynamei on bei Aristoteles, vgl. Anm. 20.
[xxviii] Bloch 1973, S. 787.
[xxix] Zu einer Politischen Ökologie im Denken Ernst Blochs und ihrer Aktualität vgl. Heiko Kremer: Körper-Nischen-Mittelbarkeiten. Gedanken zwischen Ernst Bloch und einer undefinierten Theoriepraxis der Politischen Ökologie, Konjunktionen 2011, S. 76-83.
[xxx] Wolf 1993, S. 79.
[xxxi] Bloch möchte sich an dieser Stelle bei Marx und Engels rückversichern und zieht oft die Zitate aus den Pariser Manuskripten des jungen Marx heran, wo es um die von ihm abgewandelte „Naturalisierung des Menschen und die Humanisierung der Natur“ geht: „Also die Gesellschaft ist die vollendete Wesenseinheit des Menschen mit der Natur, die wahre Resurrektion der Natur, der durchgeführte Naturalismus des Menschen und der durchgeführte Humanismus der Natur.” Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844, in: MEW, Ergänzungsband, 1. Teil, S. 539.
[xxxii] Vgl. z.B. Ernst Bloch, Geist der Utopie. Erste Fassung (GA 16), Frankfurt am Main 1971, S. 410f., S. 442f.; vgl. aber auch z.B. Bloch 1973, S. 350f. oder S. 1540.
[xxxiii] Geschichtsphilosophisches Kombinat, 1963/65, Zeichnerisches Hauptwerk in 21 Blättern, Z 235, 236, 288, 289, 303-305, 317-33.; Eine ausführliche Analyse dieses wichtigen Werkes liefert Brigitta Milde: „(D)er Vor-Schein dieses ‚Wer’, dieses ‚Ich’…“. Zum Geschichtsphilosophischen Kombinat von Carlfriedrich Claus, in Konjunktionen 2011, S. 32-43.
[xxxiv] Aurora, 1977, Mappe mit 10 bzw. in der Vorzugsausgabe 15 Radierungen, 10 Texten (Siebdruck auf gefalztem Transparentpapier) G 26-38.
[xxxv] Claus weist auf die Möglichkeit einer konzentrischen Kompositions-Anlage (1-10-15, 2-9-14, 3-8-13, 4-7-12 usf. bei der Aurora-Mappe selbst hin. Diese Art der Permutation „…(128 unterschiedliche Triaden sind nach dieser Regel fortschreitend möglich) verweist unter wechselnden Aspekten auf [existierende] Korrelationen [zwischen den Blättern].“ (Claus, Notiz, 1977, in: Erwachen am Augenblick 1990, S. 281) Zu weiteren Beispielen der Permutation im Schaffen von Claus siehe Giulio Busi, in Konjunktionen 2011, S. 61f.
[xxxvi] Von Carlfriedrich Claus sind im Chemnitzer Archiv um die 22.000 Briefe, davon mindestens 11.000 eigenhändige in teils mehrfachen Entwürfen, Variationen und Abschriften erhalten und bekannt. Die Korrespondenzen als „Fühler in die Welt“ (Brigitta Milde) kann man als wesentlichen Bestandteil des Clausschen Oeuvres bezeichnen, in dem sich das Experimentelle der Sprachblätter und die Gedankengänge seiner vielfältigen, umfangreichen theoretischen Texte – konkret adressiert – miteinander verschränken. – Einer der erwähnten Verbündeten und Unterstützer von Claus war der Kunsthistoriker Klaus Werner. Zu dieser Freundschaft siehe Barbara Barsch, in Konjunktionen 2011, S. 26-30.
[xxxvii] Als steter Wegbegleiter und Dialogpartner sei – dem Beitrag entsprechend – immer zuerst Ernst Bloch zu nennen – besonders in den 1960er Jahren neben ihm auch die (atheistische) Kabbala, vertreten durch Otto Muneles. Dr. Otto Muneles (1894-1967) war ein Hebraist und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Jüdischen – später Staatlichen Jüdischen Museums in Prag und Verwalter der Museumsbibliothek. Er trug wesentlich zur Erforschung und Dokumentation der jüdischen Geschichte von Prag bei. Als hervorragender Kenner des mittelalterlichen Hebräisch, des Talmud und der Kabbala war er ein wichtiger Ansprechpartner und Bezugspunkt für Claus besonders in dieser Thematik. Ihm wurden verschiedene Sprachblätter, welche die jüdische Tradition thematisieren, gewidmet und geschenkt.
[xxxviii] Z.B. Avidgor Kara (Z 401, 1965), einem Prager Kabbalisten aus dem 14. Jh. oder dem Physiker Nikola Tesla (Z 750, 1986).
[xxxix] Vgl. Erwachen am Augenblick 1990, S. 190.
[xl] Bloch 1975, S. 205.
[xli] Achim Kessler fasst Verständnis wie Gebrauch der Metapher bei Bloch folgendermaßen zusammen: Die Metapher ist ein auf Paradoxie und Widerspruch gründendes, performativ wirksames Medium der antizipatorischen, ästhetischen Erkenntnis. Interessant und kreativ wird Kesslers Studie, wenn er die Metapher mit dem Fragment und der Montage in Verbindung bringt und im Blochschen Werk selbst nachweist. Vgl. Achim Kessler: Ernst Blochs Ästhetik. Fragment, Montage, Metapher, Würzburg 2006.
[xlii] Wilfried Korngiebel hat sich in einer umfangreichen Studie mit der Blochschen Herleitung und – nicht immer eindeutigen – Verwendung der Begriffe Allegorie, Symbol, Metapher, Chiffre etc. aus literaturwissenschaftlicher Perspektive beschäftigt. Vgl. Wilfried Korngiebel: Bloch und die Zeichen. Symboltheorie, kulturelle Gegenhegemonie und philosophischer Interdiskurs, Würzburg 1999.
Burghart Schmidt beschreibt treffend diese von Benjamin übernommene Blochsche Konzeption der Allegorie: „Die Allegorese hält eine Verbindlichkeit des Ausdrucks und dessen Bedeutens wach, ohne auf lexikalische Festlegungen aus zu sein: es anders zu sagen, aber übersetzbar, wie vielfältig auch die Übersetzungsbemühungen ausfallen. Das ist das Feld der Kunst: Auf Erfahrbarkeiten aufmerksam machen und diese Erfahrbarkeiten sich plausibel ineinander spiegeln zu lassen.“ (Burghart Schmidt: Allegorie heißt: Es anders sagen, in: Kunstforum International, Band 102, 1989, S. 132.)
[xliii] Für Bloch ist die Musik mit ihrer konkurrenzlos antizipatorischen Kraft den anderen Künsten überlegen, jenen aber schreibt er größere erkenntnistheoretische Bedeutung zu. Vgl. Bloch 1973, S. 948.
[xliv] Vgl. z.B. Carlfriedrich Claus im Gespräch mit Henry Schumann, in: Henry Schumann: Ateliergespräche, Leipzig, 1976, S. 29.
[xlv] Andere Textformen sind z.B. Essay, Notiz, Gedicht, Beschreibung, Aus-Spruch, Skizze, Studie, Reflexion usf. Die oftmals auf schriftlich angelegte, theoretische Auseinandersetzungen verweisenden Titel-Teile betonen die Nähe zu Literatur und Wissenschaft.
[xlvi] Allegorie als Titel-Bestandteil wird von Claus nur bis zur Mitte der 1960er Jahre verwendet.
[xlvii] Claus: zwischen-bemerkungen. die experimente zielen, 1967, zitiert nach: Erwachen am Augenblick 1990, S. 128.
[xlviii] Bloch 1970, S. 336.
[xlix] Claus nennt das „Kommentar des Kommentars“.
[l] Claus nennt diese Sichtungen: These (Vorderseite), Antithese (Rückseite) – bei denen die Zeichen der jeweilig rückwärtigen Seite verblassen, einander widersprechen – und Synthese (die Zeichen beider Seiten vereinen sich). Vgl . auch Brigitta Milde, in Konjunktionen 2011, S. 33.
[li] Z.B. Geschichtsphilosophisches Kombinat 1963, Vorversuchendes Mikro-Kontaktkombinat. Im Bereich des Problemfeldes Natur-Subjekt-Triebgefühlfühler-Sprache 1964, Mikrokombinat: Vorversuchende Gedanken-Affekt-Bewegung: an das Dass, 1963/64, Bioelektrizitätskombinat mit versuchter historischer Vermittlung 1965, Aurora 1977 oder Aggregat K 1986/88.
[lii] Gemeint ist hier auch eine Übersetzungsleistung im Sinne Juri Lotmans. Vgl. Juri M. Lotman, Die grafische Folge: Erzählung und Gegenerzählung, in: figura3. Zyklen, Dresden 1982, S. 15.
[liii] „Die […] Sprachblätter wollen weniger ästhetische Objekte, vielmehr als Diskussionsbasen und Vorschläge zu eigenen Exerzitien benutzt werden.“ (Carlfriedrich Claus, Typoskript, Januar 1976, KSCh.St.C.C.-Arch.)
[liv] Claus, Tagebuch, 30.09.1965, KSCh.St.C.C.-Arch.
[lv] Blochs apologetische Haltung gegenüber dem Expressionismus ist bekannt. Dass sein Kunstverständnis Äußerungen verschiedener avantgardistischer Strömungen, wie sie in den 1950/60er Jahren aktuell wurden, kaum mehr tangierte oder von ihm gar kritisch betrachtet wurden, ist aus seinem Spätwerk ersichtlich. „In der Tat freilich hat nicht nur die Kunstproduktion, sondern auch die ästhetische Reflexion selber gegenwärtig eine Schwierigkeit vor sich, die den größeren ästhetischen Epochen völlig fehlte. Die nämlich, neben einiger Avantgarde oft spärlichen Kunstgegenwart gegenüberzustehen, so nicht einmal einen Stoff für Bildersturm zu haben.“ (Bloch 1975, S. 196f.) Einen möglichen Zugang zu experimenteller Literatur, wie Claus sie praktizierte, räumt Burghart Schmidt nachvollziehbar ein. Basis dessen sei das Interesse beider an der Kabbala, demzufolge Bloch den Anspruch von Claus, Schrift und Sprache in realer Wirkkraft zur Entfaltung zu bringen, verstehen kann. Vgl. Burghard Schmidt: Auszugsfiguralität, in: Kunstsammlungen Chemnitz 2005, S. 90, 92; vgl. auch Birgitta Milde, in Konjunktionen 2011, S. 35.
[lvi] Bloch 1975, S. 205.
[lvii] Claus brieflich an Ernst Bloch, 08.07.1965, KSCh.St.C.C.-Arch.
[lviii] Besonders im Aggregat K (1986/88, 80 Seiten in 7 Lagen, geschrieben, gezeichnet, bearbeitet in unterschiedlichen, grafischen Techniken und im Collageverfahren, G 83-109) stellt sich Claus nochmals der großen Herausforderung, innere Erstarrung in eine allseits befreiende Bewegung aufzulösen.
[lix] Psychische Felder war der Arbeitstitel eines unrealisiert gebliebenen Ausstellungsprojektes, das sich nach dem Aurora-Experimentalraum in Rostock 1995, wo der Schwerpunkt auf dem politischen Aspekt lag, und dem Lautprozess-Raum in selben Jahr in Chemnitz 1995 erstmals ausschließlich auf die seit den 60er Jahren gemachten Experimente zum o.g. Thema konzentrieren sollte. (Vgl. Claus: Psychische Felder, Typoskript, o.J., um 1995, KSCh.St.C.C.-Arch.)
[lx] Vgl. auch Anm. 6.
[lxi] Claus brieflich an Karola Bloch, 15.09.1986, KSCh.St.C.C.-Arch.
[lxii] Ernst Bloch: Experimentum Mundi. Frage, Kategorien des Herausbringens, Praxis (GA 15), Frankfurt am Main 1975.
[lxiii] Wäre denn eine Antwort auf Blochs „unkonstruierbare Frage“, wäre eine Ankunft im „Ultimum“ überhaupt wünschenswert? Anders gefragt: Müsste Blochs Entwurf des ‚ewigen’ Noch-Nicht nicht in der Tat ‚ewiger’ Prozess bleiben, damit die ganze (philosophische) Konstruktion aus statischen Gründen nicht schlechterdings in sich zusammenfällt?
[lxiv] Zur Clausschen Handhabung des „mystischen Paradox“ siehe Friedrich W. Block: Poesie und Mystik. Notizen zu ihrer Wechselbeziehung bei Carlfriedrich Claus, in: Text+Kritik. Zeitschrift für Literatur. Carlfriedrich Claus, Band 184, X/09, S. 120-134 sowie den Beitrag von Giulio Busi, in Konjunktionen 2011, S. 61-66.
[lxv] Als solchen bezeichnete sich Claus beim Festakt anlässlich der Ernennung zum Ehrenbürger der Stadt Annaberg-Buchholz (1994), vgl. Heinz Wittig: Carlfriedrich Claus: Menschliche Existenz als Experiment, DVD, Dresden 1996/97.
[lxvi] „Für Nathan von Gaza liegt der Urgrund des Bösen als Lichtelement in Gott selbst, nämlich in dessen ‚gedankenleerem Licht’, das sich, in Unterschied zu ‚gedankengefülltem’ der Schöpfung verweigere, gestaltauflösende Tendenz habe. Es erscheine vom Geschaffenen her als Finsternis, mit sich bildenden Antigestalten, als Abgrund der Schlangen, Satanisches schlechthin. Doch genau aus ihm, dem ‚gedankenleeren Licht’, bestehe auch das Wesen des - Messias. (‚Nachasch’ –Schlange– und ‚Maschiach’ –Messias– haben im Hebräischen den gleichen Zahlenwert : 358.) D.h. der Messias wirke bis zu seinem Erscheinen, das mit der Erlösung der Welt zusammenfalle, unerkannt im Licht der Leere, der Antiwelt, im Reich Satans, als Schlange im Abgrund der Schlangen. Im Bauernkrieg wurde das Tierbild zum geheimen Erkennungszeichen um Thomas Müntzer. Hegel prägte die anders subversiv stimmige Metapher von der Paradiesschlange als ‚Raupe der Göttin Vernunft’. Ernst Bloch legte mit ‚Atheismus im Christentum’ auch die Bedeutung der Chiffre ‚Jesus als Paradiesschlange’ frei. – Dazwischen bzw. von den Bewusstseinsrändern her wirkten in die Schlangensprachblätter auch die Beschäftigung mit ethnologischen Untersuchungen zur Schlangensymbolik überhaupt ein (bis zu totemistischem, magischem Denken in anderen als ‚unseren’ Sprachstrukturen), und selbstverständlich die subjektive Beziehung zur ‚Real-Chiffre’ Schlange selbst.“ (Claus: Kommentar zu[r Umschlagabbildung] Z 583, Typoskript, o.J., KSCh.St.C.C.-Arch.)
[lxvii] Einen Hinweis darauf gibt uns Hans-Joachim Lenger in seinem Beitrag Die Schrift zustellen. Blochs Erzählung des "Wir", in Konjunktionen 2011, S. 85-90.
Quelle: Anke Paula Böttcher: Unter der Sonne Microcosmi. Begegnungen zwischen Ernst Bloch und Carlfriedrich Claus. In: Galerie Pankow / Talheimer (Hg.): Konjunktionen. Zu den Denkstoffen von Carlfriedrich Claus, Berlin. Mössingen-Talheim 2011, S. 14-24.