Anna Littke
Zu Beginn der 1990er Jahre geriet die Kunst aus der DDR zunehmend in den Blickpunkt öffentlicher Debatten. Dies geschah nicht selten durch medienwirksam inszenierte Kontroversen zwischen Künstlern aus Ost und West und Kunstvermittlern, wie Galeristen, Redakteuren, Kuratoren und anderen Akteuren. Als Auftakt eines neuen, raueren Tons in den Medien können die Kommentare von Georg Baselitz gelten.
Baselitz, 1957 von der DDR in den Westen übergesiedelt und später einer der erfolgreichsten zeitgenössischen Maler und Bildhauer der Bundesrepublik, äußerte in einem Interview mit den Redakteuren der Kunstzeitschrift ART im Jahr 1990, dass die als „Staatskünstler“ geltenden Maler Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer nicht nur „Jubelmaler“, sondern „Arschlöcher“ seien. Überhaupt, so Baselitz, waren jene Künstler aus der DDR, die malen konnten, in den Westen gegangen oder mussten das Land verlassen.[1]
Noch heute, über zwanzig Jahre nach den zornigen Kommentaren von Baselitz, bricht sich der Streit um die Bedeutung beziehungsweise Bedeutungslosigkeit der Kunst aus der DDR immer wieder Bahn. Davon zeugt nicht zuletzt die Tatsache, dass es inzwischen einen Namen für diesen Diskurs gibt: Als „Bilderstreit“ tauchen die Auseinandersetzungen um ganze Ausstellungen wie die in Weimar 1999, einzelne Künstler oder selbst um die „Depot-Kunst“ in den Medien auf. Nur selten sind die Argumentationslinien der verschiedenen Interessengruppen nachzuvollziehen. Besonders interessant ist die Tatsache, dass die Fronten nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch zwischen oppositionellen und den sogenannten Staatskünstlern verlaufen. Dadurch bilden sich oft genug völlig unvermutete Koalitionen, die nicht selten quer zum sonst üblichen Ost-West-Diskurs liegen. Im Mittelpunkt des „Bilderstreits“ stehen Fragen danach, ob Kunst, die im Kontext einer Diktatur entstand, überhaupt als Kunst gelten kann, und ob sie mit der Kunst vergleichbar ist, die in der Bundesrepublik seit den späten 1940er Jahren geschaffen wurde. In diesen Debatten geht es vor allem um die Frage, wem die Deutungshoheit über die Kunst aus der DDR zusteht.
[1] Hecht, Alex; Welti, Alfred: Ein Meister, der Talent verschmäht. Im Gespräch mit den ART-Redakteuren Axel Hecht und Alfred Welti erläutert Georg Baselitz, einer der erfolgreichsten zeitgenössischen Maler und Bildhauer, seine Ästhetik des Häßlichen. In: ART - Das Kunstmagazin (1990), S. 54–72.
Eduard Beaucamp: Der deutsch-deutsche Bilderstreit
Achim Preiß: Offiziell/Inoffiziell - Die Kunst der DDR
Anja Tack: Der Bilderstreit um die Kunst aus der DDR
Weiterführende Literatur zum Bilderstreit
Das art - Kunstmagazin Interview mit Georg Baselitz
Karl-Siegbert Rehberg im Interview mit dem Montagsradio
Zitierempfehlung: Anna Littke: Bilderstreit. In: Kunst in der DDR, URL: <https://bildatlas-ddr-kunst.de/teaching/74>