Einführung

Themen

Anna Littke

Wohnen und Bauen in der DDR

Die heute vorherrschende Wahrnehmung der Plattenbauten als trostlose Wohnsilos steht in glattem Widerspruch zu ihrer Bewertung durch die meisten DDR-Bürger in den 1970er und 1980er Jahren. Begehrt waren die Wohnungen vor allem wegen ihrer modernen Ausstattung mit Bad und Innen-WC, Zentralheizung und Küche. So gesehen, wird das Bild von Wolfram Ebersbach „Hausfassade“ (1974), auf der man einen Plattenbau mit vielen Wohneinheiten erkennen kann, heute sicherlich anders interpretiert, als es von den Zeitgenossen gedeutet wurde.

 

Nach Kriegsende war die Wohnsituation in ganz Deutschland desaströs. Neben den Alteingesessenen kamen zusätzlich viele Flüchtlingen aus den ehemaligen Ostgebieten Deutschlands in die zerstörten Städte und benötigten Wohnraum. Häuser mussten von Trümmern befreit und wieder instand gesetzt werden. In der DDR wurde, wie zunächst auch in der Bundesrepublik, der Wohnraum bewirtschaftet. Eine staatliche Kommission entschied über die Wohnraumvergabe. Der Zwang zur Untervermietung von Zimmern wurde im Verlauf der 1950er Jahre zurückgenommen, da diese Maßnahme auf wachsenden Widerstand stieß. Offiziell hatten Bedürftige Priorität bei der Wohnungsvergabe, doch inoffiziell erhielten häufig diejenigen Wohnraum, die durch ihren Status oder ihre politischen Verbindungen Einfluss ausüben konnten. Da gerade die für den Aufbau notwendigen Führungskräfte in Scharen nach Westdeutschland emigrierten, hoffte die Partei sie mit dem Angebot einer bevorzugten Wohnungszuteilung zum Bleiben zu bewegen. Auch nach dem Mauerbau 1961 spielte politische Loyalität eine gewichtige Rolle. Gleichzeitig versiegte die Zahl der durch Flüchtlinge frei werdenden Wohnungen und der Mangel wurde noch deutlicher.

Um der Macht der Arbeiter und der SED symbolischen Ausdruck zu verleihen, wurden Anfang der 1950er Jahre „Arbeiterpaläste“ in den Zentren der Großstädte gebaut, wie bspw. an der Stalinallee in Berlin. Diese Form repräsentativen Wohnungsbaus orientierte sich an der Leitlinie des „nationalen Stils“, der das sowjetische Vorbild mit Elementen des Neoklassizismus in Berlin oder des Neobarock in Dresden verband. Nachdem Chruschtschow in seiner Abrechnung mit dem Stalinismus auch die stalinistische Architektur diskreditiert hatte, wurde dieser Baustil in der DDR aufgegeben. Allerdings blieb die industrielle Bauweise, die die Architekten im Laufe der 1950er Jahre entwickelt hatten, bestehen und ersetzte zunehmend die traditionelle Bauweise mit Mörtel und Ziegelsteinen.

Eine der immer wieder von der SED – im Systemvergleich mit der Bundesrepublik – genannten sozialen Errungenschaften der DDR waren die günstigen Mieten. Diese hatten jedoch fatale Folgen. Da der Mietpreis auf den Stand von 1936 festgesetzt wurde, konnten die privaten Hauseigentümer mit den Mieteinnahmen die Häuser nicht kostendeckend instand halten. Bis 1961 gab es noch mehr private als staatliche Wohnungen, so dass die Mietpreisbindung zu Lasten der privaten Eigentümer ging. Doch mit dem Entstehen staatlich finanzierter Neubauten belastete die Mietpolitik zunehmend den Staatshaushalt. Als zentrales Legitimationselement der DDR hielt die SED-Führung bis zum Ende an den stabilen Mieten fest. Da der Wohnungsmarkt nicht über den Preis reguliert wurde, kam es häufig zu Wohnungstausch.

Mit dem „Neuen ökonomischen System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft“ (NÖSPL) von 1963 wurde die Wohnraumvergabe zu einem Instrument der Arbeitskräftelenkung für und durch die Schwerpunktbetriebe. Damit wurde das Wohnungsproblem entlang der Bedürfnisse einer expandierenden Wirtschaft definiert. Das Neue Ökonomische System scheiterte allerdings Ende der 1960er Jahre aus verschiedenen Gründen.

Mit der Machtübernahme Honeckers wurde die Wohnungspolitik als zentrales soziales und politisches Problem wahrgenommen und avancierte zum Kernstück der propagierten „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“. Mithilfe des Wohnungsbauprogramms von 1973 sollten das Lebensniveau und die Arbeitsmotivation angehoben und das Wohnungsproblem bis 1990 gelöst werden. Auswirkungen versprach sich die SED-Führung auch auf die Geburtenrate, die in den Jahren zuvor stark gesunken war. Aus diesem Grunde wurden vor allem jungen Familien neue Wohnungen versprochen, während günstige Eigenheimkredite und Baumaterialien die Eigeninitiative v.a. im ländlichen Raum unterstützen sollten.

Eine radikale Standardisierung des Wohnungsbaus führte Ende der 1960er Jahre zur Entwicklung des Wohnungsbausystems Typ 70 (WBS 70). Dieser Plattenbautyp wurde ab Mitte der 1970er Jahre fast ausschließlich gebaut. Die Wohnungen waren einerseits auf dem neuesten Stand, da sie über Innen-WC, Bad und Küche verfügten, andererseits wurden sie häufig mit unzureichenden Baumaterialien errichtet und nahmen keine Rücksicht auf individuelle Ansprüche. Ein Problem waren die ineffizienten Fernwärmenetze, die die Gebäude so stark heizten, dass die Bewohner die Fenster zur Temperaturregulierung öffnen mussten. Obwohl die Energiepreise sich 1979 stark verteuerten, blieben die Mieten niedrig. Dadurch gab es wiederum wenig Anreize energiesparend zu wirtschaften, die Kosten stiegen weiter an.

Der Plattenbau wurde von der Parteiführung forciert, da er nicht nur der Wohnraumversorgung, sondern auch der Überwindung der Ungleichheiten zwischen den Klassen diente. Während eine großflächige Bebauung in den Innenstädten nicht möglich war, wurden ganze Stadtviertel in den Peripherien neu geschaffen. In diesen „Komplexen“ wurden auch Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulen, Geschäfte, ärztliche Versorgung usw. eingeplant. Allerdings wurde der Bau dieser Infrastruktur sehr oft aufgeschoben, um Kosten zu sparen. Die Errichtung von Plattenbausiedlungen an der Peripherie der Städte hatte zur Folge, dass die neuen Außenbezirke wie Halle-Neustadt oder Leipzig-Grünau eintönig wirkten. Die Altbauten in den Innenstädten büßten zur selben Zeit an Bausubstanz ein und boten immer weniger Wohnqualität, da finanzielle Mittel und der politische Wille zu ihrer Sanierung fehlten. Die bis 1990 veranschlagten drei Millionen neu gebauter oder sanierter Wohnungen konnten nicht erreicht werden, so dass der chronische Wohnungsmangel bis zum Ende der DDR bestehen blieb.

Literatur

Jay Rowell: Wohnungspolitik. In: Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945 (Band 8, 9, 10), hrsg. v. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung und Bundesarchiv, Berlin 2004.

Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung zur Wohnungspolitik in der DDR, URL http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/handwoerterbuch-politisches-system/40413/wohnungspolitik?p=all

Bildauswahl

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Uwe Pfeifer, Die Treppe I (1983)

Konrad Knebel, Straße mit Mauer (1977)

Wolfram Ebersbach, Hausfassade (1974)

Uwe Pfeifer, Durchgang in Halle-Neustadt (1971)

Ausstellungsraum „Mühen der Ebene"

Bilddossier

Jörg Sperling: Bilddossier zu "Durchgang in Halle-Neustadt" (1971) von Uwe Pfeifer, Juli 2012.

Film

Die Architekten (1989/1990) von Peter Kahane.

Zitierempfehlung: Anna Littke: Wohnen und Bauen in der DDR. In: Kunst in der DDR, URL: <https://bildatlas-ddr-kunst.de/teaching/346>

Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)