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Margret Hoppe

Verschwundene Bilder

Werner Tübke, Arbeiterklasse und Intelligenz (1973), Mischtechnik auf Holz, 12 Tafeln, insg. 270 x 1380 cm, Karl-Marx-Universität Leipzig.
Margret Hoppe: Universität Leipzig, Leipzig 2006
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»Verschwundene Bilder«

Werner Petzold, Die friedliche Nutzung der Atomenergie, 1974, Wismutgelände Paitzdorf, Thüringen, lautet der Titel des Bildes, das ich am 22. November des letzten Jahres auf dem ehemaligen Wismutgelände in Paitzdorf fotografierte. So lautet der Titel meines Bildes und auch des Bildes, dass auf 384 emaillierten Tafeln an der Hausfassade an Stahlträgern angebracht wurde.

Die friedliche Nutzung der Atomenergie - ich stelle mir ein Bild mit Wissenschaftlern vor, die sich die Forschung zu Nutze machen würden, um unsere Zukunft mit Energie zu versorgen. Sie ständen in weißen Kitteln zwischen physikalischen Apparaturen und Instrumenten. Im Hintergrund wäre ein Gelände zum Uranabbau. Arbeiter blickten froh der Zukunft entgegen. Einer besseren Welt mit einer friedlichen Forschung, in solidarischer Gemeinschaft.

Später sehe ich auf einer alten Fotografie das tatsächliche Wandbild. Im Zentrum  schwebt ein Atomkern, um den sich eine Gruppe von Menschen anordnet. Arbeiter, sowie eine Frau mit roter Fahne in der Hand, ragen vorwärts strebend zwischen Maschinenteilen empor. Im unteren Bildteil stehen die Arbeiter des Bergbaus an Bedienungselementen von Maschinen, die den Uranabbau fördern.

Der Maler Werner Petzold schuf das Bild als Auftragswerk zwischen 1970 und 1972 für das Bergbauunternehmen Wismut.  Als Material für das Bild wurde emailliertes Stahlblech angewendet, um den Forderungen nach möglichst langer Haltbarkeit zu entsprechen.

Eine Expertise bescheinigte, dass das Bild mindestens 100 Jahre übersteht.  2006, 32 Jahre nach der Entstehung musste Petzold das Bild in Vorbereitung auf den Abriss des Wismutgebäudes selbst demontieren. Das Bild wird auf unbestimmten Zeitraum eingelagert.

Die Titel meiner Fotografien sind Titel verschwundener Bilder. Sie zeigen die heutigen Leerstellen in Räumen, an Wänden und Hausfassaden, die nach der Abnahme oder dem Übermalen von Bildern entstanden sind. Sie verweisen auf den Mangel und den teilweisen Verfall vom kulturellen und künstlerischen Erbe eines Staates.

Die Titel verweisen aber auch auf die Künstler, deren Namen Assoziation zur Einheitskunst des sozialistischen Realismus wachrufen. Einige Künstler zählten zur künstlerischen Elite der DDR, die staatlich gefördert und geachtet wurde.

Andere arbeiteten provokativ und wollten sich nicht der stattlichen Repression ergeben und distanzierten sich vom Auftragssystem.

Heute findet der Großteil der Künstler der DDR kaum noch Beachtung. Sie werden mit ihren Bildern, die in den Depots lagern, vergessen. Dort sind sie oft für die Öffentlichkeit nicht sichtbar, unzureichend inventarisiert und unter notdürftigen Bedingungen »in einem Ablageplatz für Geschichte«, auf unbestimmten Zeitraum verwahrt. So auch Zieglers »Sowjetische Soldaten 1987« — eine Gruppe von Bildern, die ich im Kunstarchiv Beeskow, in Brandenburg, fotografierte. Dort lagern seit 1995 Jahre ca. 23.000 Werke aus ehemaligen Betrieben, Kombinaten, Parteien- und Massenorganisationen der DDR. Sie stammen aus den Ländern Brandenburg, Berlin und Mecklenburg- Vorpommern. Das Depot wird heute auf Landesebene verwaltet. […]

»Fotografien von verschwundenen Bildern«

Meine Fotografien sind Stellvertreter für die »verschwundenen Bilder«. Sie machen ihre Abwesenheit sichtbar, wobei beim Lesen der Titel, die neben den Fotografien an der Wand stehen, eine schemenhafte Imagination des einst Dargestellten hervorgerufen wird.

Es liegt im Wesen der Fotografie, dass sie etwas zeigt, was durch die zeitliche Distanz zwischen dem Moment der Aufnahme und dem heutigen Tag, an dem ich diese Fotografie betrachte, so nicht mehr vorhanden ist. Die Fotografie ist das Einfangen eines Augenblicks, der im Moment der Aufnahme, nach der Sekunde, in der das Licht durch die Blende fällt, der Vergangenheit angehört. Das auf dem Negativ eingeschriebene ist in der »Wirklichkeit« schon wieder abwesend.

Nur die Fotografie macht diesen Moment haltbarer und entfaltet ihre eigene Wirklichkeit, sie schreibt ihre eigenen Tatsachen. Die dargestellten Räume,

Wände und Häuser der »verschwundenen Bilder« zeigen an sich schon etwas Abwesendes. Sie zeigen, was zum Zeitpunkt der Aufnahme schon nicht mehr vorhanden, nicht mehr sichtbar war.

Fotografien sind nicht nur ein Ausschnitt aus der Zeit, sondern auch aus dem Raum, in dem sich der Fotograf beim Aufnehmen des Bildes befand. Es gibt also immer noch das nicht Sichtbare, was über den Rand der Fotografie hinausweist. Dieser Ausschnitt aus Raum und Zeit blendet scheinbar das darüber hinaus Liegende aus. Doch ist einem beim genauen Betrachten der Fotografien genau dieses »Außerhalb«, sind einem die Bilder hinter den Bildern, bewusst.

»Fotografien, Bilder und Geschichte«

Mit Bedacht auf Distanz nähert sich die Fotografie einer Begebenheit an,  zeichnet einen Moment der Geschichte auf und reflektiert damit die Geschichte und die Zeit. Im Falle meiner Fotografien wird ein bestimmter Zeitraum reflektiert, oder besser, es werden drei bestimmte Zeiträume reflektiert. Das ist zum Ersten der Zeitraum zwischen 1949 und 1990, die Zeit des Bestehens der DDR, als die Bilder für entsprechende Räume und Auftraggeber gemacht wurden. Das ist zum Zweiten der Zeitraum zwischen 2003 und 2007, als ich die Fotografien der »verschwundenen Bilder« aufnahm. Und schließlich der Zeitraum von 1989 bis 2007, der Zeitraum in dem die Kunst der DDR aus den öffentlichen Räumen in die Depots verschwand. Das sind also 41 Jahre DDR, in denen unter der Diktatur der Sozialistischen Einheitspartei, Kunst produziert, rezipiert und eliminiert wurde. […]

Die Fotografie ist hier also nicht nur Dokument eines bestimmten Augenblicks. Sie ist nicht nur Spurensucher und Aufzeichner von Geschichte. Sie ist auch Verweis auf den Umgang mit Kunst im Wandel gesellschaftlicher Systeme. Sie zeigt die stillen Tatorte und deutet auf den Punkt hin, an dem Erinnerung verlöscht.

Sie verweist auf die Unsicherheit im Umgang mit Bildern, die aus Furcht vor Verbreitung falscher Ideologien, aus Angst vor Verherrlichung, aus Unbewusstsein für deren Wert, nicht nur in der Zeit nach der Wiedervereinigung entfernt wurden.

Schon im 8. und 9. Jahrhundert wurden in den Ostkirchen durch die gesetzliche Forderung der damaligen Kaiser Leo III. und Konstantin V. Bilder entfernt. Mit der Verehrung von Bildern fürchtete man eine vermeintliche Identifizierung des Bildes mit dem dargestellten Göttlichen. Reformatoren des 16. Jahrhunderts ermutigten ihre Anhänger zur Zerstörung der so genannten Götzenbilder, wiederum aus Angst vor Verherrlichung der Bilder und Missachtung der Worte Moses aus der Bibel, nach denen man sich kein Bild vom Unvorstellbaren, vom Göttlichen, machen solle.

Der Umgang mit der Kunst der DDR ist sicher nicht mit einer Angst vor Verherrlichung von Bildern zu begründen. Die Entfernung oder Verwahrlosung von Bildern, Denkmälern und Architektur spricht vielmehr für eine Wahrnehmungs- und Bewusstseinsveränderung. Der Sturm von ideologisierten Bildern aus ihren ideologisierten Räumen ist die Auswirkung eines konfliktreichen, emotionalen Umgangs mit Geschichte. Der Prozess des Verschwindens von Bildern geht einher mit dem teilweise gewaltsamen Auslöschen von Erinnerungen, dem Verschwinden einer Kultur oder auch der Absicht, diese zu Verändern.

»Verlust von Kultur und Scheitern von Utopien«

[…] Von der einstigen Noblesse [des »Gästehauses des Ministerrates der DDR«], in dem einst »Strauß und Honecker auf der legendären Couch 1983 den Milliardenkredit für die DDR eingefädelt haben sollen«, ist nicht mehr viel zu sehen. 1995 wurde die Couch zusammen mit dem restlichen Interieur des »Gästehaus des Ministerrates der DDR« versteigert. Danach sollte das Gebäude abgerissen und durch einen Neubau im Stil der Gründerzeit ersetzt werden. Der Abriss stellte sich jedoch als schwieriges Vorhaben heraus, da  der Luftschutzbunker, den sich Erich Honecker, Günter Mittag und Erich Mielke einrichten ließen, eine Sprengung erfordern würde.

Der Milliardenkredit von 1983 konnte die DDR nicht retten. Das Idealistische Bild von einer Gesellschaft, die sich mit Kraft und Tat auf dem Weg in eine glückliche, klassenlose Zukunft befindet, wurde zur Utopie eines verschuldeten, maroden Staates. Seine baulichen Hinterlassenschaften, sind im Laufe der  letzten 17 Jahre im großen Maße abgerissen worden oder haben sich zum Teil in unliebsame, verwaiste Architektur verwandelt.

[…] »Die verschwundenen Bilder« stehen sinnbildlich für die Geschichte zahlreicher […] Bilder, für die gescheiterte Utopie eines Staates und die Absicht, Kultur zu verdrängen und zu Vergessen. […]

Das Werk In der Teufe (1972) von Werner Petzold

Archiv Wismut

 

 

Zitierempfehlung: Auszug aus der Rede »Von verschwundenen Bildern und gescheiterten Utopien« zur Diplomarbeit von Margret Hoppe, »Die verschwundenen Bidler« HGB Leipzig / Klasse Timm Rautert / Fotografie / WS 2006/2007. In: Kunst in der DDR, URL: <https://bildatlas-ddr-kunst.de/teaching/318>

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