Rosenthal, Kathleen, POLIT-KUNST!? Die bildende Kunst in der DDR und ihre Rezeption in der Bundesrepublik Deutschland bis zum Mauerbau. Köln 2022: Böhlau Verlag, ISBN 978-3-412-52597-2; 621 S., 70 Abb.; € 90,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Bernd Lindner, Leipzig
An Büchern und Katalogen, die sich mit der bildenden Kunst in der DDR und ihren unterschiedlichen Facetten auseinandersetzen, besteht mittlerweile kaum noch ein Mangel. Seltener sind Schriften, die sich mit ihrer Wahrnehmung außerhalb der DDR-Grenzen befassen, inklusive ihrer Rezeption in der Bundesrepublik Deutschland. Das betrifft gerade die Kunst aus der Frühzeit der DDR. Hier schließt der faktenreiche Band von Kathleen Rosenthal eine markante Lücke. Die Autorin zeigt, wie auch in der Kunst „bereits vor dem Mauerbau 1961 ein unüberbrückbarer Graben zwischen Ost und West entstanden war“ (S. 15) und welche Institutionen auf beiden Seiten darauf hingearbeitet haben. Rosenthal analysiert ausführlich das gesellschaftliche Umfeld, das in der jungen Bundesrepublik die öffentliche Meinung über die bildende Kunst aus der DDR bestimmt hat. Sie zeigt, wie dadurch „Denk- und Bewertungsmuster“ mit einer bis in die Gegenwart anhaltenden „Prägekraft“ (S. 18) geformt wurden. Rosenthals Beschränkung auf die Zeit bis zum Mauerbau erweist sich als kluge Konzentration auf die Entstehung und Beförderung von (Vor-)Urteilen im Westen Deutschlands, die primär vom „Abwehrgedanken“ (S. 514) gegen die „POLIT-KUNST in der sowjetischen Besatzungszone“ getragen wurden.
So lautete der Titel einer rund 50-seitigen Broschüre, die das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen von 1953 bis 1965 in sieben nur leicht modifizierten Ausgaben veröffentlichte. Darin fanden sich 18 schwarz-weiße Gemäldereproduktionen, die dem Katalog der Dritten Deutschen Kunstausstellung in Dresden 1953 entnommen waren. Dieser Katalog aber gab bereits ein „verzerrtes Bild“ der Ausstellung wieder, indem er „fast ausschließlich Werke mit einer im Sinne der SED ‚fortschrittlichen‘ Thematik“ (S. 219) zeigte. Sie machten indes nur ein Fünftel der Dresdner Schau aus. Mehr als ein Drittel waren dagegen impressionistisch gehaltene Landschaftsbilder. Dennoch stellte bereits der Einführungstext der Broschüre klar, dass sich „unter der Herrschaft der deutschen Bolschewisten […] ein Missbrauch und Verfall der Kunst“ vollzogen habe, der weit über das hinausgehe, „was im Nationalsozialismus stattgefunden hatte“ (zit. auf S. 215).
Mit diesem vernichtenden Urteil wurde „die bildende Kunst in der Sowjetzone“ einfach abgeschrieben. Mit totgesagten Dingen musste man sich aber nicht mehr näher beschäftigen. Stattdessen wurden die abschreckenden Beispiele der Dresdener Propagandakunstwerke wieder und wieder reproduziert. Kaum eingegangen wurde dagegen „auf die in der DDR erfolgte Kritik an der Ausstellung“ oder „auf die Liberalisierungstendenzen in Folge des Volksaufstandes vom 17. Juni“ (S. 226). Sie sorgten dafür, dass die meisten ideologielastigen Werke der Dritten Kunstausstellung rasch in den Depots verschwanden. Dennoch wurden sie in westdeutschen Publikationen weiterhin als prototypisch für die bildende Kunst der DDR dargestellt und waren damit meinungsbildend bis in höchste Regierungskreise hinein. So zitiert Rosenthal den Bundespräsidenten Theodor Heuss, der 1956 freimütig zugab, „noch keine Ausstellung der Sowjetzone“ besichtigt, dafür aber „repräsentative Abbildungsserien [davon] gesehen“ zu haben (S. 227). Gleichwohl fühlten er und andere sich legitimiert, die Kunst in der DDR undifferenziert mit derjenigen im Nationalsozialismus gleichzusetzen. Die eingängige Formel „Rot = Braun“ hatte Konjunktur.
Rosenthal belegt differenziert, dass in der Unkenntnis der realen DDR-Kunstentwicklung, mit all ihren schon damals vorhandenen Brüchen und Widersprüchen, ein wesentliches Manko der bundesdeutschen Kritik lag. Mehrheitlich fällte diese Kritik ihr Urteil ohne die Anschauung originaler Kunstwerke. Befördert wurde dies noch durch die weitgehende „Abwesenheit von Kunst aus der DDR […] im westdeutschen Kunstbetrieb“, an der auch die DDR ihren Anteil hatte. Geschuldet war sie vor allem der nach 1945 in den drei westalliierten Zonen forcierten „kulturellen Westbindung“ (S. 243ff.). Ein weiterer Faktor war die Tatsache, dass „der Gedanke einer kulturell verbürgten Einheit der Nation“ nach der Gründung der Bundesrepublik „sehr bald fallengelassen“ wurde. Damit erlosch „das Interesse an den Kunstdebatten und der Kunstentwicklung in Ostdeutschland […] fast gänzlich“, und es fanden „in der Folge keine Ausstellungen“ mehr statt, „die sich der Kunst aus der DDR widmeten“ (S. 339f.). Der Blick der westdeutschen Öffentlichkeit richtete sich fortan nahezu ausschließlich gen Westen, auf die „abstrakte Kunst als Ausdruck von Freiheit“ (S. 371ff.), die bewusst als Gegensatz zum Sozialistischen Realismus östlicher Prägung mit seiner figürlichen Bildsprache postuliert wurde.
Hinzu kam, dass man sich nicht näher mit Kunstwerken aus der DDR beschäftigte, sondern sich lieber an Zitaten aus kulturpolitischen Dokumenten und der Presse der DDR rieb. Deren dogmatischer Duktus musste auf westliche Leser in der Tat abschreckend wirken. Unterstellt wurde dabei unisono, dass sich die rigiden Vorgaben der SED-Führung zur Schaffung einer Kunst nach sowjetischem Vorbild eins zu eins in den Gemälden, Grafiken und Plastiken niederschlugen, die in der DDR entstanden. Dies war ein Vorurteil, das nicht belegt werden musste, da die Rezeption der Kunst aus der DDR im Westen – wie Rosenthal an konkreten Beispielen herausarbeitet – in den „wenigsten Fällen vom Werk selbst“ ausging, sondern „hauptsächlich über die Printmedien der DDR“ (S. 207) erfolgte, die parteipolitische Verlautbarungsorgane waren und die, anders als die Kunstwerke, kaum Zwischentöne zuließen.
Dabei war es Westdeutschen, vor allem aber West-Berlinern, bis zum Mauerbau 1961 jederzeit möglich, Ausstellungen und Galerien im Ostteil der Stadt zu besuchen. Aber auch engagierte Galeristen in den Westsektoren der Stadt zeigten in den ersten Nachkriegsjahren immer wieder Werke ostdeutscher Künstler. Der 1947 einsetzende Kalte Krieg bereitete dieser anfänglichen Offenheit „bald ein Ende. Grenzüberschreitende Aktivitäten wurden zunehmend unterbunden“ (S. 348). Rosenthal belegt dies eindrücklich am Schicksal der West-Berliner Galerie Franz, die bis 1951 mehrfach ostdeutsche Künstler ausstellte, darunter auch Werke von Fritz Cremer. Dann jedoch wurde eine erneute Schau seiner Arbeiten durch ein massives Polizeiaufgebot „noch während der Eröffnung am 23. Mai [1951] aus Angst vor kommunistischer Propaganda geschlossen“ (S. 350). Drei Wochen später wurde dem Galeristen endgültig der Gewerbeschein entzogen, weil es sich – so das Urteil eines West-Berliner Gerichts – bei Fritz Cremer um einen „ostzonalen Künstler“ handele und der Eröffnungsredner, der Schriftsteller Arnold Zweig, „gleichfalls Mitglied der sowjetzonalen Akademie der Künste“ und sogar deren Präsident sei (S. 355). Hiermit wurde ein Exempel statuiert, das die Präsentation ostdeutscher Kunst in West-Berlin künftig zu „einem besonderen Risiko“ (S. 356) machte.
Sowohl die westdeutsche Kunstpublizistik (S. 264ff.) als auch der Ausstellungsbetrieb in der jungen Bundesrepublik (S. 334ff.) zementierten im folgenden Jahrzehnt – wie Rosenthal detailliert belegt – die Festschreibung der Kunst in der DDR als „gleichgeschaltet und damit einförmig“ (S. 515). Zugleich zeigt die Autorin aber auch, wie offizielle Stellen der DDR durch die Errichtung bürokratischer Mauern immer wieder verhinderten, dass dieses einseitige Bild aufgebrochen werden konnte (S. 140ff.). So wurde die Beteiligung ostdeutscher Künstler:innen an Ausstellungen in der Bundesrepublik zunehmend reglementiert und genehmigungspflichtig. Die SED-Obrigkeit sorgte dafür, dass fast nur ihr genehme Arbeiten die Grenze gen Westen passieren konnten. Dennoch gelang es Künstlern wie Gerhard Altenbourg und Carlfriedrich Claus, deren Werke „im Widerspruch zum kunstpolitischen Ideal der DDR“ standen, bis 1961 die Chancen des noch ungeteilten Berlins zu nutzen, um sich im Westen einen Bekanntheitsgrad aufzubauen, der den Mauerbau überstand, obwohl beide Künstler zeitlebens in der DDR blieben (S. 408ff.).
Bei dem Buch handelt es sich um die laut Vorwort „nur geringfügig“ veränderte Drucklegung von Rosenthals 2021 an der Universität Bonn eingereichter kunsthistorischer Dissertation. Das merkt man den ersten beiden Kapiteln auch an. Das auf die Einleitung folgende Kapitel „Kunst und Kulturpolitik in der SBZ/DDR 1945 bis 1961“ hat über 100 Seiten – hier wären mutige Straffungen dem Buch zugute gekommen. Im dritten Kapitel, dem Kern der Arbeit mit rund 350 Seiten, bietet die Darstellung aber eine Fülle neuer Fakten, Zusammenhänge und Erkenntnisse zur Rezeption bildender Kunst aus der SBZ/DDR in der Bundesrepublik zwischen 1945 und 1961. Die Autorin arbeitet damit detailreich die Grundierung einer Sichtweise heraus, die weit über den benannten Zeitraum hinausgeht, mit Folgen bis in die unmittelbare Gegenwart: die nach wie vor verbreitete, wenn auch nicht mehr unbestrittene Behauptung vornehmlich westdeutscher Kritiker, dass Kunst aus der DDR generell ideologielastig und damit minderwertig sei. Kathleen Rosenthal ist Wegweisendes für eine differenzierende gesamtdeutsche Kunstgeschichtsschreibung gelungen.
Diese Rezension wurde redaktionell betreut von Jan-Holger Kirsch <kirsch@zzf-pdm.de>
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