„Kunst wirkt wie ein Seismograph“
ZZF-Historiker erklären anlässlich der Potsdamer Tagung zur DDR-Kunst, was sie aus Kunstwerken heute noch herauslesen können
pnn.de vom 30.11.2011: „Herr Danyel, Sie leiten ein Projekt zur DDR-Kunst. Was können Historiker aus Kunstwerken erfahren?
An Bilderreihen aus einer bestimmten Zeit lassen sich interessante Entwicklungen zeigen. Blickt man etwa auf die Malerei der DDR in den 1980er Jahren, lässt sich ein neuer Umgang mit Individualität und Subjektivität in der Gesellschaft erkennen. Zahlreiche Porträts zeigen bisher ungewohnte und eigenwillige Bilder von Menschen, die sich nicht mehr unter die damals offiziellen Vorstellungen vom normierten sozialistischen Leben subsumieren lassen. Kunst wirkt hier wie ein Seismograph und macht die Erosion von Herrschaft und politischer Kontrolle und gleichzeitig eine gewisse Endzeitstimmung sichtbar. Die ostdeutsche Gesellschaft hat sich verändert und die Kunst zeigt diesen Wandel. Im Übrigen auch wenn man sich die in dieser Zeit entstandenen Arbeiterbilder ansieht. Zahlreiche Selbstbildnisse von Künstlern aus den 1980er Jahren zeigen ebenfalls diese Veränderungen.
Sehr interessant! Was sehen Sie noch?
Ein Beispiel für einen anderen Blick der Kunst auf die Menschen und die Gesellschaft sind die teils düsteren Stadtlandschaften, die schonungslos heruntergekommene Altstädte und die Umweltverschmutzung mit einer neuen Bildsprache sichtbar machen. So liefert die Kunst spannende Einblicke in die späte DDR-Gesellschaft unmittelbar vor dem Umbruch.
SCHAARSCHMIDT: Interessant ist hier auch die zeitliche Abfolge. Es gibt neben der späten Phase auch die des Aufbaus, etwa mit Bildern von Eisenhüttenstadt und klassischen Bildern der Berliner Stalinallee. Anhand dieser Darstellungen kann man die zeitlichen Brüche sehr schön nachvollziehen. Mit einer Ausstellung wollen wir das anhand von Arbeiterporträts zeigen, den klassischen Ikonen der DDR, die zunächst sehr heroisch dargestellt wurden. Man kann das von Willi Sitte über Werner Tübke bis zu Wolfgang Mattheuer finden. In der Abfolge der vier Jahrzehnte der DDR gibt es sehr interessante Abwandlungen und Variationen, bis hin zu einer Spätphase, in der man fast schon von einer Ironisierung dieser Arbeiterporträts sprechen kann.
Was interessiert die Zeithistoriker 20 Jahre nach dem Mauerfall an der DDR-Kunst?
DANYEL: Zum einen die Tatsache, dass die DDR-Kunst zu einer Projektionsfläche für Diskussionen über den Prozess der deutschen Vereinigung geworden ist. Es gibt bis heute eine sehr heftige Auseinandersetzung darüber, wie man mit der DDR-Kunst umgehen, wie und wo man sie ausstellen soll, ob man sie überhaupt noch zeigen sollte. Zum anderen sind die Zeithistoriker auch aufgefordert, sich gegenüber neuen Quellen zu öffnen, mit denen sie ihre kulturgeschichtlich ausgerichteten Arbeiten untersetzen.
Wie kam es zu dem Projekt DDR-Kunst?
Der Auslöser war die Beobachtung, dass viele Kunstwerke aus der DDR nach 1989 aus den Sammlungen in die Depots verschwunden und damit nicht mehr öffentlich sichtbar sind. Es macht deshalb Sinn, sich einen Überblick über diese in der Öffentlichkeit nicht mehr präsenten Werke zu verschaffen, um auf dieser Grundlage nach neuen Wegen für einen differenzierten Umgang mit diesen Kunstbeständen zu suchen.
Ist die DDR-Kunst heute tatsächlich versteckt und vergessen?
SCHAARSCHMIDT: Viele der Kunstwerke lagern bereits seit der Nachwendezeit in Depots. Wir haben eine ganze Fülle von neuen Bildern bei unseren Recherchen zutage befördert. Nun geht es uns erst einmal darum, die Bestände zu sichten, ihren Wert einzuschätzen und zu einer Auseinandersetzung mit dieser Kunst einzuladen. Das verlangt natürlich, dass sie ins Bewusstsein gerückt wird. Dazu soll der „Bildatlas Kunst in der DDR“ dienen.
Wie wird dieser „Bildatlas“ aussehen?
DANYEL: Neben der Erfassung der verstreuten Bestände soll in dem Projekt auch die Kunst- und Sammlungspolitik der DDR näher erforscht werden. Die Ermittlung von Informationen zu einzelnen Werken und Sammlungen ist gleichzeitig die Grundlage für die Forschungsarbeit. Wir wollen wissen, wie die Bilder in die verschiedenen Sammlungen der DDR kamen: Wie wurde angekauft? Wer hat angekauft? Wie sind Künstler mit diesen Aufträgen umgegangen? Wie stark waren die Aufträge politisch motiviert? Es geht um eine ganze Gemengelage von mit dem Kunstsystem DDR und der staatlichen Kunstpolitik zusammenhängenden Faktoren, die mit dem Projekt erstmals systematisch erforscht werden. Als Grundlage für den „Bildatlas“ dient ein umfassendes Verzeichnis der Werke in einer Forschungsdatenbank, die später auch online für Kunstwissenschaftler, Kuratoren und Zeithistoriker zugänglich gemacht werden soll. Parallel dazu wird es eine Publikation geben, die vor allem eine Typologie der verschiedenen Sammlungen und der damit zusammenhängenden Bestandsbildungen versucht. Geplant ist überdies eine größere Ausstellung zur Kunst in der DDR.“ weiterlesen