Tischgespräch mit Luther. Christliche Bilder in einer atheistischen Welt
Angermuseum Erfurt, Anger 18, 99084 Erfurt
21. Oktober 2012 – 20. Januar 2013
Zentraler Ausgangspunkt dieser Ausstellung ist die paradox erscheinende Konjunktur religiöser Themen im radikal atheistisch verfassten DDR-Staat sowie deren Transformation in eine weitgehend von Kirchenferne geprägte Kultur der Gegenwartsgesellschaft in der bildenden Kunst der DDR. Ab den 1960er Jahren, findet sich eine in Qualitäten und Umfang bemerkenswert erscheinende Hinwendung zu religiösen Themen, die in der Ausstellung „Tischgespräch mit Luther. Christliche Bilder in einer atheistischen Welt“ im Angermuseum erstmals umfassend dargestellt wird und somit eine wesentliche Facette des Kunstschaffens in der DDR beleuchtet. Die Ausstellung endet nicht mit der deutschen Wiedervereinigung, sondern verfolgt das Phänomen bis in das aktuelle Kunstschaffen ostdeutscher Künstler.
Auffallend dabei ist, dass die religiösen Themen in der „Kunst in der DDR“ konsequent aus dem kirchlichen Ritus herausgelöst und in die Gegenwart der sozialistischen Gesellschaft transformiert werden. Durch diesen Kontexttransfer in eine außerkirchliche Alltäglichkeit – in gesteigerter Form etwa bei Wolfgang Mattheuers „Ein Mensch“ (1979) – konnten die Werke nun auch bei einem nicht kirchlich gebundenen Publikum auf breite Resonanz treffen.
Die ikonographische Bindung zu Motiven wie Kreuzigung, Pietà oder Kreuzabnahme erscheint daher bei vielen Künstlern in der DDR nicht mehr konfessionsbezogen und glaubensgrundiert. Das Interesse breiter Teile der Künstlerschaft, etwa an alt- und neutestamentarischen Motiven, lag vielmehr darin begründet, dass ihre Werke nun in symbolhafter und allegorisierender Zuspitzung den gesellschaftspolitischen Status des sozialistischen Staates relativierten. Andererseits ergab sich durch die Erprobung christlicher Ikonographie die Chance, die Bildmuster des „Sozialistischen Realismus“ – vor allem die Fixierung auf das Arbeiter- und Brigadebild und auf den Kanon des sozialistischen Historienbildes – erheblich zu erweitern. Mittels religiöser Thematiken konnten jetzt existentielle Probleme und Seinslagen wie Tod, Vereinzelung und Leiderfahrung angesprochen werden, welche in der Zukunftsgewissheit der sozialistischen Kunst bis dahin nur vereinzelt ihren Platz gefunden hatten.
Das Interesse an einer traditional gebundenen und symbolisch verhandelten Konjunktur christlicher Motive in der DDR-Bildkunst war ebenso geprägt durch kultur- und außenpolitische Hintergründe. Dieser bereits im Titel der Ausstellung anklingende Zusammenhang wird deutlich in der „Martin-Luther-Ehrung der DDR“ im Jahre 1983. Diese versuchte, im Zuge einer sich auf einstmals ausgegrenzte Positionen ausdehnenden „Erbeaneignung“, die schwindende Legitimationsbasis des „Arbeiter-und-Bauern-Staates“ im In- und Ausland zu verstärken. In diesem Kontext fand die Ausstellung „Erfurt-Luther-Dialoge“ 1983 in der Erfurter Galerie am Fischmarkt (heute Kunsthalle Erfurt) statt. Sie repräsentierte in überregionaler Perspektive erstmals diese neue Offenheit und verdeutlichte dabei zugleich, dass sich die Kunst längst aus einem starren Abhängigkeitsverhältnis entfernt hatte.
Die Sonderausstellung im Angermuseum zeigt beispielhaft Varianten bei der säkularen Transformation religiöser Motive – wie Kreuzannahme und Kreuzverweigerung, Beweinung und Pietà oder Paradies: Adam und Eva. Mit fast 100 Werken, bestehend aus Malerei, Grafik und Skulptur aus dem Besitz des Angermuseums und Leihgaben aus regionalen und überregionalen Sammlungen, zeigt die Sonderausstellung herausragende Werke prominenter Vertreter wie Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer, Bernhard Heisig, Otto Dix, Heinz Zander.
Begleitend zur Ausstellung erscheint ein Katalog. Er enthält Aufsätze zur Veralltäglichung christlicher Motive in der Kunst der DDR, zur Konjunktur von Religiosität in außerkirchlichen Kontexten der Gegenwartsgesellschaft sowie eine Reihe von Fallstudien etwa zur Geschichte der kirchlichen Kunstförderung in der DDR am Beispiel Erfurts und zum Phänomen kirchlicher Aufträge an nicht kirchlich gebundene Künstler in der Gegenwart. Zudem werden 15 namhafte Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft, Kirche und Politik jeweils ein Bild der Ausstellung vor dem Hintergrund eigener Biografiegeschichte interpretieren. weiterlesen
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Presse:
Frankfurter Rundschau vom 15.11.2012